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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Gut ist, was Hermia tut, weil es Hermia tut. Also warum sollte es Helena nicht wissen?
    Helena ist das Gegenstück zu Hermia. Sie hat ein Faible für das Unglück. Man kann sogar sagen, sie ist vernarrt ins Unglück. Sie hat das Unglück zu ihrem Markenzeichen gemacht. Sie spricht immer mit weinerlicher Stimme. Auch wenn es darum geht, welche Strumpfhose sie heute anziehen soll, spricht sie mit weinerlicher Stimme. Sensiblen Naturen macht sie ein schlechtes Gewissen. Zu kurz gekommen zu sein hält sie für attraktiv. Zu kriegen, was andere liegenlassen, füttert ihren perversen Stolz. Wundert es einen, daß sie ausgerechnet den Demetrius liebt? Es ist logisch. Denn Hermia, ihre beste Freundin, weist den Demetrius ja zurück. Und daß Demetrius Helena nicht ausstehen kann, macht ihr Unglück auf süße Art vollkommen. Ihr verkehrtes Herz gibt ihr verkehrte Ratschläge. So kann ich den Demetrius vielleicht gewinnen, denkt sie, wenn ich ihm verrate, was seine geliebte Hermia vorhat.
    »Demetrius«, sagt sie.
    »Was denn schon wieder?« stöhnt er. Helenas Stimme macht ihn rasend schon nach einem Wort, besonders wenn dieses eine Wort sein eigener Name ist.
    »Ich möchte dich etwas fragen, Demetrius. Darf ich?«
    »Was um Himmels willen möchtest du mich fragen?«
    »Ob du eventuell schon weißt, daß Hermia, die du so sehr liebst, gemeinsam mit Lysander, den sie so sehr liebt, aus der Stadt fliehen will?«
    »Was?«
    »Sie wollen sich im Wald treffen.«
    »Was!« Roter Schädel und Adern am Hals wie Ochsenstricke. »Im Wald!«
    »Ja. Und das mitten in der Nacht. Was willst du tun, Demetrius?«
    »Im Wald in der Nacht! Stellen werde ich die beiden! Stellen! Wo genau wollen sie sich treffen?«
    Helena sagt: »Ich werde dich hinführen.« Und in ihrer Stimme klingt mit: Obwohl mir das sehr weh tut.
     
    Zur selben Zeit treffen sich in der Werkstatt des Zimmermanns Peter Squenz Theaterleute. Laien, die sich zu einer Theatergruppe zusammengeschlossen haben. »Meisters« nennen sie sich. Sie haben von dem Theaterwettbewerb gehört, den Theseus ausgeschrieben hat. Sie wollen teilnehmen. Nicht einer von den »Meisters« zweifelt am Sieg.
    Peter Squenz wird Regie führen. Er hat auch das Stück geschrieben. Auf ihn ist Verlaß. Er setzt die Charaktere, wie er die Dachbalken setzt. Er schnitzt die Dialoge, wie er die Verfugungen schnitzt. Die Handlung spannt sich über den Abend wie das Dach über die Wände eines Hauses.
    Sein neues Stück trägt den Titel: »Die höchst klägliche Komödie und der höchst grausame Tod des Pyramus und der Thisbe«. Da ist alles drin: Liebe, Spannung, Tod, Schauder und Mitleid. Die Rollen sind für die Schauspieler geschrieben. Da spricht keine Person ins luftleere Allgemeine hinein.
    Zum Beispiel der Kesselflicker Tom Schnauz. Glaubwürdig auf der Bühne bis in die letzte Silbe! Problem: Er nuschelt. Oder der Schreiner Schnock. Der braucht nur »Die Pferde sind gesattelt« zu sagen, und im Zuschauer geht eine Welt auf. Meistens halten sich die Zuschauer die Ohren zu, weil Schnock ein Organ hat, das das Schmalz gefrieren läßt. Oder Flaut, der Bälgenflicker. Muß gezielt eingesetzt werden, der Mann, aber wenn, dann trifft er.
    In Frauenkleidern wirkt er wie ein Medikament, beruhigend, sehr beruhigend.
    Der Meister der »Meisters« aber heißt Nicklas Zettel. Er ist von Beruf Weber. Stellt diesen Mann auf die Bretter, und er webt aus Worten alles! Tragödie genauso wie Komödie! Es gibt keinen Stoff, aus dem er nicht ein Segel machen kann, das ein kundiges Publikum zu Stürmen hochreißt. Nicklas Zettel ist ein Genie.
    Nun werden die Rollen verteilt. Keine Frage: Zettel kriegt den Pyramus. Er könnte ebensogut die Thisbe spielen oder Thisbes Mutter oder Pyramus’ Vater, er könnte auch die Rolle des Löwen übernehmen – so viel sei jetzt schon verraten: Ein Löwe kommt auch vor.
    »Das wäre doch einmal ein interessantes Experiment«, sagt er. »Radikal: Alle Personen werden von einem einzigen Schauspieler gespielt!«
    »Dann braucht es keine Theatergruppe«, sagt Flaut, der Bälgenflicker.
    »Dann können wir ja wieder gehen«, sagt Schnock, der Schreiner.
    Nein, es bleibt dabei: Zettel gibt den Pyramus. Flaut die Thisbe. Schnock den Löwen.
    Diese Theatergruppe ist gut, verdammt gut sogar. Da gibt es Neider. Klar. Die Konkurrenz schläft nicht. Da gibt es Spione. Die schleichen sich an, verschanzen sich vor dem Werkstattfenster, Ohren wie Saugnäpfe, machen sich Notizen. Und dann wird

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