Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
seid der erste, dem ich es verrate. Perdita und ich wollen heiraten. Am Abend werden wir es verkünden.«
    Da schluckt Polyxenes. »Dem Bauernvolk hier wollt Ihr es mitteilen? Habt Ihr kein Zuhause?«
    »Habe ich schon«, sagt Florizel.
    »So, habt Ihr. Und was sagt Euer Vater dazu?«
    »Das ist das Problem«, seufzt Florizel. »Mein Vater ist ein ziemlich intoleranter Patron.«
    »So, ist er das?«
    »Voll von Vorurteilen.«
    »Was für Vorurteile denn?«
    »Ich glaube, er würde nicht erlauben, daß ich unter meinem Stand heirate.«
    »Das sehe ich auch so«, sagt Polyxenes und reißt sich Bart und Brauen ab.
    Ja, Camillo hat Ahnungen gehabt. Und nun weiß er, was es für Ahnungen waren. Wieder wird er Zeuge, wie ein Komet in der Größe von Texas einschlägt.
    Der Sohn erkennt seinen Vater, und aus dem Vater bricht der Wahn.
    »Nie und nimmer wirst du dieses Mädchen heiraten, diese Person, dieses Persönchen, dieses liederliche Stück! Der Vater ein Schäfer! Und ich ein König! Sollen wir nebeneinander an der Hochzeitstafel sitzen? Humpen hoch, Bruder! Auf deinen Sohn! Auf deine Tochter! Nein! Nein! Nein! Vorher werde ich ihren Vater töten lassen. Dann werde ich sie töten lassen, und dann werde ich dich töten lassen!«
    Und der Rasende ruft Perdita herbei und beschimpft sie und tobt und wirft ihr solche Namen an den Kopf, daß die Dorfjugend aufspringt und sich bereit macht, dem Städter die Birne zu polieren.
    Camillo drängt den König zum Rückzug. Mit Mühe kann er eine Rauferei verhindern. Camillo sieht aus den Augen von Polyxenes einen anderen blicken, einen, den er nicht kennt. Und den er auch nicht kennenlernen möchte. Weil man mit dem nicht diskutieren kann. Da bleibt nur die Flucht.
    »Wir müssen fliehen«, sagt er zu Florizel. »Du mußt fliehen, auch Perdita und ihr Vater. Wir alle.«
    »Aber wohin sollen wir fliehen?«
    »Ich kenne einen Ort, dort sind wir gut aufgehoben. König Leontes von Sizilien wird uns Exil gewähren. Er kennt die Krankheit, die deinen Vater befallen hat. Ja, diese Krankheit kennt er wie kein anderer.«
    Und so rüsten sie im Hafen von Böhmen ein Schiff aus und fahren übers Meer.
     
    Leontes empfängt seinen ehemaligen Diener mit offenen Armen. »Kannst du mir vergeben, Camillo?«
    »Mir hast du nichts angetan«, sagt Camillo.
    Da bricht Leontes in Tränen aus. »Und mein Freund, Polyxenes, kann er mir vergeben?«
    »Sicher kann er«, sagt Camillo. »Es wird die Zeit kommen, da Polyxenes selbst alle möglichen Leute um Vergebung bitten wird. Spätestens dann wird er Euch vergeben.«
    Camillo erzählt, was vorgefallen ist. Er stellt dem König von Sizilien den Königssohn von Böhmen vor. Und da rollen wieder die Tränen. Denn Florizel sieht dem alten Freund so ähnlich, als wäre er derselbe, mit dem Leontes sich in der Jugend die Welt nach Strich und Faden angeschaut hat. Und dann stellt ihm Camillo Perdita vor, die Schäferstochter, die im Herzen von Florizel wohnt und sich im Palast des Leontes bewegt, als wäre sie hier zu Hause.
    Und da strömen die Tränen aufs neue, und sie wollen gar nicht aufhören zu strömen, und Leontes braucht lange, bis er Worte findet, und während dieser wortlosen, tränenreichen Minute schüttelt er Perditas Hand, auf und ab, auf und ab, von Gürtelhöhe bis zum Kinn und wieder hinunter.
    Warum weint Leontes so sehr? Die Antwort steht in Perditas Gesicht geschrieben. Hat es Camillo denn nicht bemerkt? Wie sehr Perdita ihrer Mutter Hermione ähnlich sieht? Was heißt ähnlich! Als wäre sie Hermione, als Leontes um sie warb!
    »Wer bist du?« fragt Leontes.
    »Eine Schäferin«, sagt Perdita. »Habt ihr Schafe in Sizilien?«
    »Ich hatte eine Frau«, jammert Leontes, »sie hatte eine Nase wie du. Und Augen wie du. Und eine Stirn wie du. Und ein Profil wie du.«
    »Ach«, sagt Perdita, »alle Frauen haben Nasen und Augen und ein Profil. Sicher auch hier in Sizilien.«
    »Könnte ich sie nur einmal noch sehen!« schluchzt Leontes. »Nur einmal noch! Und wenn sie auch kein Wort zu mir sagen würde! Und wenn sie sich auch keinen Schritt auf mich zu bewegen würde! Nur sie sehen! Nur einmal!«
    Und weil er gerade beim Schluchzen ist, schluchzt er weiter: »Und eine Tochter hatte ich auch! Sie ist verlorengegangen. Und das Orakel sagte, wenn ich das Verlorene nicht wiederfinde, werde ich ohne Erben sein.«
    Paulina deckt auf, entwirrt und klärt.
    Nachdem ihr Mann verschollen war, aufgefressen vom Bären am Strand von Böhmen, ist Paulina

Weitere Kostenlose Bücher