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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Diktat seiner Befürchtungen: Edgar will nicht nur mich, seinen Vater, töten, er will auch Edmund, seinen Bruder, töten. Und er verflucht Edgar. Erklärt ihn für enterbt und für vogelfrei.
    »Wer Edgar trifft, der hat das Recht und die Pflicht, ihn zu erschlagen!«
    Jetzt muß nur noch der Alte fallen, dann darf sich Edmund Graf von Gloster nennen.
     
    Lear hat das Reich unter seine Töchter Regan und Goneril aufgeteilt. Er selbst beansprucht für sich Unterkunft, Königswürde in Form von würdiger Behandlung und ein kleines Heer von hundert Mann zu Repräsentationszwecken. Zur Zeit wohnt er bei Regan.
    Es geht ihm nicht gut. Es geht ihm nicht gut, weil er nicht gut behandelt wird. Wären da nicht sein Narr, der ihn mit seinen frechen Späßen doch immer wieder aufzuheitern vermag, und ein fremder Mann, der sich ihm angeschlossen hat, der König wäre längst schon in eine starrende Depression versunken.
    Dieser fremde Mann war eines Tages erschienen und hatte gesagt: »Lear, du hast mir geholfen, als du noch König warst. Jetzt, da du nicht mehr König bist, will ich dir helfen.«
    »Und wie sieht diese Hilfe aus?« fragte Lear.
    »So zum Beispiel«, sagte der fremde Mann und stellte dem Verwalter von Regan ein Bein, so daß er längelang hinschlug.
    Dieser Verwalter ist ein übler Bursche, der durch unverschämt mauliges Verhalten dem alten König gegenüber auffällt.
    »Und wenn ich noch einmal sehe, daß du unserem König einen frechen Rand ziehst«, schimpfte ihn der fremde Mann aus, »dann schlag ich dir den Schädel ein!«
    Das hat dem Lear gefallen, und er hat ihn in seine Dienste genommen.
    Dieser Fremde ist niemand anderes als Kent, der sich verkleidet hat, um in der Nähe seines Königs zu sein und darauf zu achten, daß ihm nichts zustößt. Kent hat einen Kurierdienst nach Frankreich eingerichtet. Laufend meldet er Cordelia, wie sich Regan ihrem Vater gegenüber benimmt. Und leider hat Kent nichts Gutes zu berichten. Regan ist niederträchtig zu ihrem Vater. Sie hört ihn nicht an, wenn er sich beschweren möchte, oder dreht sich mitten in seiner Rede um und geht. Sie kümmert sich nicht um Essen und Kleidung, wie es ausgemacht war. Sie nörgelt an ihm herum. Sie demütigt ihn. Beleidigt ihn mit jedem Wort.
    Cordelia ist empört. »Stellen wir ein Heer zusammen!« entrüstet sie sich vor ihrem Mann, dem Herzog von Frankreich. »Marschieren wir ein! Stürzen wir sie!«
    Der Herzog von Frankreich will beschwichtigen, relativieren, verschiedene Sehweisen ins Feld führen. Er kennt Cordelia erst wenig. Dann aber lernt er sie besser kennen. Schließlich mobilisiert er. Das Heer Frankreichs steht bereit, den Kanal zu überqueren und in England zu landen.
    Eines Tages stellt sich Regan breit vor ihren Vater hin und sagt: »Das kann nicht so weitergehen! Deine Leute führen sich auf, als ob mein Schloß ein Bordell wäre!«
    »Das ist nicht wahr!« wehrt sich Lear. »Meine Soldaten sind die besten, die es gibt. Anständig, ruhig, verläßlich, loyal.«
    »Sie saufen, machen Lärm, fressen alles auf und kotzen in den Brunnen. Was brauchst du hundert Soldaten! Fünfzig genügen!«
    Nein, das kann er nicht hinnehmen! Er hat schon viel hinnehmen müssen in den letzten Wochen. Das nicht. Dann geht er lieber. Das hätte er sich nicht träumen lassen! Daß am Ende seines Lebens zwei seiner Töchter seine Liebe so vergelten!
    »Es gibt noch eine!« hält er Regan entgegen. »Zum Glück gibt es noch Goneril! Sie liebt mich, und sie wird mich ehren, wie es ihr die Liebe befiehlt.«
    Lear bricht auf mit all seinem Gefolge. Er diskutiert nicht. Ehre und Stolz dürfen nicht Gegenstand von Verhandlungen sein.
    Der Narr treibt seinen Spott. »Schau mich an, Lear!« sagt er. »Was siehst du?«
    »Einen Narren sehe ich.«
    »Wie viele Narren gibt es denn hier?« fragt der Narr.
    »Einen, denke ich. Dich.«
    »Seltsam, auch ich sehe einen Narren«, sagt der Narr.
    »Du meinst, daß ich mich nicht von dir unterscheide?« sagt Lear.
    »Du kannst ja auch eine Schlange nicht von einer Rose unterschieden«, sagt der Narr.
     
    Regan ist ihren Vater losgeworden. Aber jetzt macht sie sich ihre Gedanken. Was, wenn sich der Alte nun mit Goneril verbündet, gegen sie, Regan? Sein Einfluß im Land ist immer noch groß. Und noch eine Sorge drückt sie: Sie hat in letzter Zeit auffallend selten Besuch von dem hübschen Edmund bekommen. Sie ahnt, daß sich da etwas tut. Nämlich zwischen Edmund und ihrer Schwester. Da gab es Blicke und

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