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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Farbwechsel im Gesicht. Womöglich bildet sich da eine geheime Allianz heraus – Edmund, Goneril, Lear … Regan traut allen alles zu, so wie eben ihr alles zuzutrauen ist.
    »Ich will sehen, was er für Geschichten über uns erzählt«, sagt sie zu ihrem Mann, dem Herzog von Alba.
    »Die Wahrheit wird er erzählen«, sagt Alba. »Wie du ihn behandelt hast.«
    »Du machst dich lächerlich«, fährt ihm Regan über den Mund.
    Der Herzog hat Not mit seiner Frau, weiß er doch längst, was sie für eine ist, eine ohne Herz, eine, die ihn betrügt, eine, die vor nichts haltmacht. Und was tut er dagegen? Nichts. Und warum nicht? Wegen Schwäche auf allen Ebenen.
    So macht sich also auch Regan auf den Weg.
     
    Der König wird von Goneril nicht empfangen. Lear muß im Hof warten.
    »Sagt Goneril, ihr Vater ist hier!«
    Die Dienstboten grinsen sich einen. So ist ihnen befohlen worden: Wenn der alte König kommt, ignoriert ihn, aber nicht so, als ob er gar nicht da wäre, sondern so, als ob er schon da wäre, ihr ihn aber trotzdem ignoriert. Erst als auch Regan im Schloß eintrifft, lassen sich Goneril und ihr Mann, der schreckliche Herzog von Cornwall, herab, die Gäste zu begrüßen.
    »Was gibt’s denn?« fragt Goneril.
    »Er führt sich auf«, sagt Regan.
    Wie brennt das Herz im Busen des Königs! Kent unter der Maske eines Fremden hat es aufgegeben, die Dinge aus verschiedenen Gesichtswinkeln zu betrachten. Nichts will er aus dem Gesichtswinkel dieser beiden Ungeheuer Regan und Goneril betrachten, den schäbigsten Hundsdreck nicht!
    »Wie führt er sich denn auf?« fragt Goneril ihre Schwester, tut so, als stünde ihr Vater nicht drei Schritte von ihr entfernt.
    »Ich sage zu ihm, fünfzig Soldaten reichen aus für sein Schmuckheer. Er will die hundert behalten.«
    »Ich finde, fünfundzwanzig sind sogar genug«, sagt Goneril.
    »Das finde ich auch«, sagt Regan.
    »Warum überhaupt einen einzigen Soldaten?« sagt Goneril, und nun erst wendet sie sich ihrem Vater zu: »Du hast doch alles, was du brauchst. Wir passen doch auf dich auf.«
    »Ich habe euch alles gegeben, was ich besaß!«
    »Und wir geben dir alles, was du brauchst.«
    »Oh!« ruft Lear aus. »Der ärmste Bettler besitzt irgend etwas im Überfluß! Gib dem Menschen nur, was er braucht, und sein Leben ist wie das Leben eines Tieres!«
    »Tja dann«, sagt Goneril.
    »Tja dann«, sagt Regan.
    »Tja dann« heißt: Dann geh halt! Sie grinsen. Der König kann nämlich nicht gehen. Warum nicht? Weil draußen ein Unwetter losbricht. Noch ehe ein kleines »Tja dann« ausgesprochen werden kann, gehen fünf Blitze nieder. Und wär’s der räudige Hund des verhaßten Nachbarn, man würde ihm in so einer Nacht Obdach geben.
    »Tja dann«, sagt Regan.
    »Tja dann«, sagt Goneril.
    »Dann brauch ich nichts mehr von euch«, sagt Lear.
    Und er stemmt das Tor auf. Der Sturm bauscht seinen Mantel, das weiße Haar weht um sein Haupt. Der Regen durchnäßt seine Schultern. Aber der König hat Männer bei sich, die ihn lieben: den Narren und Kent. Die lassen den König nicht allein. Sie begleiten ihn in die grausige Nacht hinaus.
    »Verriegelt das Tor!« befiehlt Goneril. »Und wenn jemand klopft, dann fragt! Und wenn es der Alte ist, dann antwortet nicht, und öffnet nicht!«
    Wieso soll man erst fragen? Erwartet Goneril jemanden? Regan macht sich wieder ihre Gedanken. Sie läßt die Schwester nicht aus den Augen. Und tatsächlich: Mitten im Sturm wird an das Tor gepocht. Und es ist nicht der alte König. Es ist Edmund. Was will der hier? Sich ins Bett der Schwester schleichen?
    »Ich bringe schlechte Nachricht«, sagt Edmund. »Das französische Heer ist in Dover gelandet. Cordelia will rächen, was ihr eurem Vater angetan habt.«
    »Wir ihm angetan? Was haben wir ihm angetan?«
    Edmund hebt die Schultern. Was kümmert’s ihn.
    »Jemand hat Lügen verbreitet!« sagt Regan.
    »Wer hat Lügen verbreitet?« fragt Cornwall. »Ist ein Verräter unter uns?«
    Edmund ist aufmerksam. Er hört zu. Mischt sich nicht ein. Meine Intelligenz – so denkt er über sich selbst – besteht vor allem darin, eine Chance sofort zu erkennen und sie zu nutzen. Jetzt mischt er sich doch ein.
    »Der Verräter …«, sagt er und senkt den Blick, und es ist ihm anzusehen, wie er mit sich ringt. »Der Verräter …«
    »Wenn du ihn kennst«, poltert Cornwall, »dann rate ich dir, seinen Namen zu nennen.«
    »Das kann ich nicht …«
    »Mir wirst du seinen Namen sagen«, spricht Goneril mit sanfter

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