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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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mehr ertragen, in Konkurrenz mit ihrer Schwester um Edmund zu werben. Sie hat Gift in Gonerils Becher geschüttet.
    Dann ist es eben, wie es ist, denkt Edmund. Dann halt Regan. Sie ist zwar noch verheiratet mit dem Herzog von Alba, aber das soll dem Walten der Natur doch nicht im Weg stehen.
    Und dann wird gemeldet: Auch Regan ist tot. Sie hat sich das Leben genommen.
    Das versteht Edmund nicht. Selbstmord? Nun hätte Regan doch alles haben können, sagt er sich. Alba wären wir losgeworden. Wir beide hätten das Land regiert. Sie an meiner Seite. Aber dann fragt er sich: Was hätte sie haben können? Mich? Mich hätte sie haben können? Nein, mich hätte sie nicht haben können. Den Edmund kann nämlich niemand haben. Und warum nicht? Weil er nicht liebt. Weil er noch nie geliebt hat. Und weil er nie lieben wird. Regan wußte es. Aber was ist schon Liebe! Bringt man sich um, weil man sie nicht bekommen kann? Ja, wenn man selbst liebt.
    Dieser Gedanke erschüttert Edmund: »Ist Edmund also einer, der geliebt werden kann? Ist Edmund also einer, der geliebt wurde? Ist Edmund also einer, dessen Liebe mehr wiegt als das Leben?« Er weiß nicht, was Liebe ist. Er hat keine Ahnung davon. Er weiß nur, Regan fand das Leben nicht mehr lebenswert, wenn sie von Edmund nicht geliebt wird. Dieser Gedanke erschüttert ihn.
    Und macht ihn weich.
    Edgar muß tun, was ihm die Ehre befiehlt. Er ist kein Mann der Ehre. Er ist kein Mann der öffentlichen Angelegenheiten. Er wäre Edmund nicht im Weg gestanden. Er wäre freiwillig beiseite getreten. Nie hatte er den Ehrgeiz, der Grafschaft seines Vaters vorzustehen. Nie fühlte er Überlegenheit Edmund gegenüber, weil der nicht Glosters legitimer Sohn ist. Nun aber sieht Edgar keine andere Möglichkeit, der Intrige entgegenzutreten, als mit dem Schwert. Und er zweifelt nicht, daß sein Bruder auch diesen Kampf gewinnen wird. Edgar rechnet mit dem Tod, und er erwartet den Tod als gerechte Strafe. Es war ihm nicht gelungen, den alten Vater zu schützen, wie es seine Pflicht als Sohn gewesen wäre. Er hat sich ein falsches Bild gemacht von seinem Bruder, das ist seine Schuld.
    Edgar trifft auf Edmund, und er sieht in seine Augen, und er zögert. Aus diesen Augen soll das Böse blicken? Edgar will nicht kämpfen, er will nicht töten.
    »Ich will es nicht«, sagt er, »aber ich muß dich töten.«
    »Dann tu es!« sagt Edmund.
    Edgar kann nicht. Den ersten Streich führt Edmund. Aber er führt ihn ohne Kraft und ohne Willen.
    »So kämpfst du gegen mich?« fragt Edgar.
    »Du mußt dich wehren«, sagt Edmund und schlägt ein zweites Mal zu. Und dann noch ein drittes Mal.
    Dann schlägt Edgar zurück. Und Edgar besiegt den Bruder.
    »Gib mir die Gelegenheit, etwas Gutes zu tun«, flüstert der Sterbende.
    »Diese Gelegenheit habe ich dir immer gegeben«, sagt Edgar.
    »Geh! Beeil dich! Rette Lear! Rette Cordelia!«
    Aber es ist zu spät. Der König trägt seinen Liebling auf den Armen durch das Schloß. Cordelia ist den Mördern nicht entkommen. Lear hat die Mörder erschlagen. Dann ist er gestorben. Zuerst ist sein Geist gestorben. Dann seine Seele. Seine Liebe ist gestorben. Nun sinkt er nieder, die Arme schützend über seinen toten Liebling gebreitet, so stirbt er.
    Der treue Kent ist da, und der Herzog von Alba ist da, und Edgar ist da. Alle anderen sind tot. So sieht diese Welt an ihrem Ende aus.
    »Kent soll König sein«, sagt Edgar.
    »Nein«, antwortet Kent. »Ich habe mein Leben lang dem König gedient. Ich habe ihm noch gedient, als er glaubte, ich sei sein Feind. Ich werde ihm dienen bis zu meinem Tod.«
    »Dann du, Alba!«
    »Nein«, sagt Alba. »Ich habe die Welt nicht so gesehen, wie sie ist. Und als ich sie sah, wie sie ist, habe ich die Augen vor ihr verschlossen. Ich bin kein König.«
    Edgar wird König, ein König wider Willen.

Wie es euch gefällt
    Es war einmal ein Herzog, der hatte ein hochsommerliches Gemüt. Den Sommer lieben die fröhlichen Geschöpfe; der Melancholiker wartet mit leicht verächtlicher Ungeduld, bis er vorbei ist. Diesen unfrohen Trauermienen konnte der Herzog nichts abgewinnen; er produzierte Späße wie der Webstuhl Tücher, und wer nicht darüber lachen wollte, dem erklärte er die Witze nicht, dem drehte er einfach den Rücken zu.
    Die Sonne scheint auf alle, und sie wärmt auch jene, die im Schatten sitzen. Der Herzog hatte einen Bruder, der war ursprünglich durchaus wohlgemut, aber eben nicht so wohlgemut wie der Herzog, und er saß im

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