Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
weil er nun den wahren Grund seines Hasses kannte? Oder weil der Mord lediglich einen ausreichenden Grund für diesen Haß lieferte, so daß nach anderen Gründen, vielleicht sogar nach noch viel schmerzlicheren Gründen, nun nicht mehr gefragt werden mußte? Daß Hamlets prophetisches Herz also von nun an schweigen würde.
    Später, nach dem Ende, wird es einige geben, die leise den Kopf schütteln und sagen werden: »So verzweifelt hassen, wie Hamlet gehaßt hat, kann man nur sich selbst.«
    Aber wir greifen vor.
     
    Am Hof lebt Ophelia. Sie ist die Tochter des Oberkämmerers Polonius. Sie hat einen Bruder, Laertes, er ist dem Vorbild Hamlets gefolgt und hat ein Studium im Ausland begonnen. In allem ist Hamlet das Vorbild des Laertes, Laertes eifert ihm nach. Ophelia aber liebt Hamlet. Und Hamlet liebte sie. Bevor er nach Wittenberg fuhr, sprach er davon, sie zu heiraten, wenn sein Studium abgeschlossen sei. Hamlet ist kein oberflächlicher Mensch. Mit Gefühlen geht er behutsam um. Jedenfalls mit den eigenen Gefühlen. Er würde nicht von Liebe sprechen, wenn keine Liebe in ihm wäre.
    Aber seit geschehen ist, was geschehen ist, hat die Liebe sein Herz verlassen. Er geht Ophelia aus dem Weg. Sie wartet auf ihn. Dann wartet sie nicht mehr. Sie hat ihn verloren, das weiß sie. Sie beobachtet ihn, wie er durch die Gänge des Schlosses schleicht, den Kopf zum Boden gesenkt. Sie hört, wie er mit sich selbst spricht. Hamlet redet ohne Unterlaß. Er kann nicht anders. Er redet gegen seine Gedanken an und gegen seine Ahnungen. Er hat seine Zunge nicht mehr unter Kontrolle.
    Er ist krank, denkt Ophelia. »Was hat diesen wunderbaren Geist zerstört?«
    Sie will ihm helfen. Er soll sich nicht gebunden fühlen. Daß er ihr aus dem Weg geht, mißversteht sie. Sie meint, er leide unter einem schlechten Gewissen ihr gegenüber. Sie läuft ihm nach, hält seine Hand.
    »Ich habe Dinge, die möchte ich dir zurückgeben«, sagt sie.
    »Was für Dinge und warum zurückgeben? Haben sie mir jemals gehört?«
    Seine Stimme klingt herausfordernd. Das läßt ihr Herz sinken. »Es sind schöne kleine Dinge«, sagt sie und ist außer Atem, »und sie waren mir wichtig, denn ich dachte, du schenkst sie mir, weil du mich liebst.«
    »Bist du schön?«
    »Warum fragst du das? Eine Frau kann auf diese Frage nicht antworten.«
    »Bist du tugendhaft? Vielleicht kann eine Frau auf diese Frage antworten.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Es gab eine Zeit, da glaubte ich, dich zu lieben.«
    »Das glaubte ich auch.«
    »Du hättest mir nicht glauben sollen. Ich liebe dich nämlich nicht.«
    »Das weiß ich«, sagt sie. »Du könntest es mir aber in einem anderen Ton sagen.«
    Und dann läßt Hamlet eine Tirade auf sie los: »Geh ins Nonnenkloster!« fährt er sie an. »Oder was, denkst du, soll aus dir werden? Eine Mutter zum Beispiel? Und was macht eine Mutter? Was kann eine Mutter? Erst eine Tochter, dann einen Sohn, dann wieder eine Tochter, dann noch einen Sohn. So ungefähr? Und in jedem kleinen Herzen wächst das Ungeheuer mit. Schau mich an! Ich bin weiß Gott nicht einer der Schlimmsten. Aber ich habe Lust auf mehr Sünden, als es Namen für sie gibt, und wenn ich den Tag um fünf Uhr in der Früh begänne und erst nach Mitternacht wieder schliefe, die Zeit würde nicht ausreichen, alle Sünden zu begehen, auf die ich Lust hätte. Geh ins Kloster, Ophelia! Laß dir keine Kinder machen! Und wenn sie den tugendhaftesten Mann als Vater hätten, er würde ihnen so viel von dem mitgeben, was im Abgrund seines Herzens lagert, daß sie zu nichts anderem als zu Ungeheuern heranwachsen würden.«
    Ophelia denkt, er ist verrückt geworden. Und es ist gut, daß sie das denkt, denn sonst würde sie verzweifeln. Sie müßte dann denken, sie war nie etwas anderes für ihn als ein Stück irgend etwas.
     
    Claudius ist auf der Hut. »Was weiß Hamlet?« fragt er sich.
    Er engagiert zwei junge Männer, Rosenkranz und Güldenstern, Jugendgefährten von Hamlet, und zahlt im voraus. »Gebt acht auf ihn. Seine Mutter und ich machen uns große Sorgen. Erstattet mir regelmäßig Bericht!«
    Hamlet durchschaut die Geschichte natürlich. Ausgerechnet Rosenkranz und Güldenstern! Tun plötzlich so, als wär man früher weiß Gott wie eng miteinander befreundet gewesen. Hamlet war nie mit jemandem eng. Niemals! Und niemand wollte je mit ihm befreundet sein. Ophelia liebte ihn. Und er liebte sie.
    Hamlet führt die beiden Spione an der Nase herum. Aber er weiß nun auch,

Weitere Kostenlose Bücher