Shakespeares Hühner
richtig funktionierst, bist du sofort raus.«
Er runzelte die Stirn, was verständnislos aussah, fragte aber nichts. »Und vorige Woche«, fuhr ich fort, »hält mir meine Frau die Zeitung hin. Wir waren in der Charité gewesen und anschließend im Theater, und ich dachte, sie zeigt mir eine Kritik. Aber es war die Sportseite, das große Foto: Der Fahrer, der Trainer und dieses Siegerpferd mit dem seltsamen Namen, warte ...«
Er grinste. »Speedy Shame, der Racker. Sein Besitzer hat ihn so genannt, weil er immer im Mai über die Zäune und auf Stuten druff, die gar nicht für ihn vorgesehen waren. Das gab dann endlose Prozesse mit den Züchtern. Dabei hätten die froh sein können. Dem seine Produkte kannst du auf die Bahn stellen, und sie sahnen die Pokale ab. Aber na ja, es muss alles seine Ordnung haben, auch das Rammeln. – Ein Studierter bist du also ...«
Aus dem Lautsprecher wurden Startnummern und Wettquoten verkündet, und dann setzte Klaviermusik ein, schon wieder das schnelle, irgendwie leichtfüßige Stück. »Und was ist mit dir?«, fragte ich. »Wie bist du denn zu dem Beruf gekommen, Mensch? Von der Elektrotechnik in den Stall. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du ein Pferdeliebhaber bist. Warst du das damals schon? Wir haben doch nur über Westbräute und Amischlitten geredet, oder?«
Er lächelte vage. »Ein Pferdeliebhaber? Nee, nee, die sind nichts zum Liebhaben, Alter. Die wissen ganz genau, was wir mit ihnen machen. Pferde sind Knochenbrecher. Ich hab kaum ein Körperteil, das noch nicht vergipst war. Dieser Graue zum Beispiel, Frag Freddy, der hat mir erst neulich einen Kuss gegeben ... Zwei Wochen ging ich am Stock.«
Ohne etwas ins Auge zu fassen, starrte er vor sich hin; dabei stieß er den Rauch sehr langsam durch die Nase. »In der letzten Zeit in Schwedt hatte ich eine Zelle mit Ausblick, nicht übel«, sagte er schließlich. »Die Weiden gehörten zu einem Traber-Gestüt, und es gab eine Trainingsbahn, die führte ein Stück weit am Zaun vorbei. Von morgens bis abends stand ich auf meinem Stuhl am Fenster und sah mir die Gespanne an. Bald konnte ich den Fahrern zurufen, was sie falsch machten, und wenn ein Gaul nicht trittsauber war, kriegte ich Rückenschmerzen. Und nach der Wende, als alle freikamen, bin ich halt rüber auf den Hof und hab eine Lehre als Pferdewirt gemacht. War ’ne wilde Zeit mit all den frischen Girls, die da immer rumhüpften.«
Ich räusperte mich; die Heuluft und der Rauch des billigen Tabaks machten mir zu schaffen. »Zwölf Jahre?«, fragte ich. »Ist das richtig: Warst du zwölf Jahre im Knast?«
Er schnippte Asche auf den Boden und fuhr mit dem Fuß darüber. »Bist ja gut informiert. Ich sag mir das nicht allzu oft, aber es stimmt wohl. Dabei hab ich noch Glück gehabt, die hätten mich auch wegputzen können; ich hatte die ganzen Schalt- und Bunkerpläne von dem Grenzabschnitt dabei. Es war also nicht nur Republikflucht, sondern obendrein Sabotage, die mir dann als Hochverrat ausgelegt wurde. Deswegen haben sie mich auch nicht in den Westen verkauft. Würde heute noch da modern...«
»Aber du lebst«, erwiderte ich und blickte mit ihm auf seine Uhr, eine alte Ruhla. Bräunlich angelaufen, wölbte sich das mehrfach gesprungene Glas wie ein Bernstein über dem Zifferblatt.
»Klar«, murmelte er. »Und nicht schlecht, das kannst du mir glauben. Ich bin mein eigener Herr und Meister. Auch wenn der Trabsport am Boden ist und kaum noch Publikum kommt: Gib mir ein altes Fahrrad, und ich mach dir ein Siegerpferd daraus.«
Das klang, als hätte er es nicht zum ersten Mal gesagt; doch ich lächelte höflich, und leiser fügte er hinzu: »Zwei Rippen sind zwar schief zusammengewachsen, und eine Niere haben sie mir totgetreten, die braven Vollzugsbeamten ... Aber zum Glück war es nicht die Bier-Niere. Prost!«
Erneut stießen wir an; wie lange hatte ich kein Radeberger mehr getrunken. Doch auch jetzt machte ich nur einen winzigen Schluck, wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und fragte: »Aber wie genau lief das denn damals? Hattest du jemandem was geflüstert? Plötzlich warst du weg, und alle Elektro-Pioniere wurden auf andere Truppenbereiche verteilt. Mich haben sie in die Uckermark gesteckt, in diese Atomstation der Russen. Da hab ich übrigens meine Frau kennen gelernt, meinen Politoffizier; die sollte mich auf Linie bringen. Und kurz darauf hörte ich, du seist in Schwedt.«
Erneut glitt ein Schatten über seine Züge. »Tja, wie lief das.
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