Shakespeares Hühner
Türkisch? Vegetarisch? Muss ja nicht heute sein.« Mit dem Handrücken rieb er sich die Nase, um gleich darauf an seinem Ohr zu zupfen. »Also, ich hab eigentlich immer Hunger ...«
Sein Husten hallte im Treppenflur. Ruhig blickte sie ihm in die Augen, ohne Furcht jetzt, und als sie den Kopf schüttelte, sah das eher verwundert als verneinend aus. Den Türknauf noch in der Hand, winkelte sie ein Bein an, löste das Riemchen an ihrer Fessel und kratzte sich dort. Dabei maß sie ihn mit einem Blick. »Ach ja? Immer Hunger?« Das Geräusch, das ihre Nägel auf dem Nylonstrumpf machten, kam ihm lauter vor, als es sein konnte, und ihre Zähne waren so weiß und makellos, dass er ihr das Lächeln erst nicht glauben wollte. Langsam erlosch das Deckenlicht, zwei, drei jener Konfettisterne fielen aus dem Schuh, und dann drückte sie die Tür etwas weiter auf und schloss einmal kurz die Lider. »Na, dann komm!«
Sehr leise hatte sie das gesagt. Mit klappernden Absätzen ging sie ihm voraus. Sie wohnte im ersten Stock, Fenster zum Park, und ihr Appartement war ähnlich wie seins, ein Wohnraum mit Küchennische, ein Schlafzimmer und ein Bad. Nachdem sie ihm den Parka abgenommen hatte, wies sie auf das Sofa und öffnete den Eisschrank. »Ich bin nicht besonders gut ausgestattet, wir haben eine passable Kantine«, sagte sie. »Hier wäre noch etwas Nudelsalat, von meiner Schwester. Und eine Pizza könnte ich dir anbieten. Oder ich mache Bockwürstchen warm ...«
Ein Glas Wein in der einen, eine Flasche Bier in der anderen Hand, kam sie um den Küchentresen. Ihr sandfarbener Rock hatte eine etwas steife Glockenform, doch der bordeauxrote Pullover saß sehr eng, und ihr taxierender und womöglich auch ironischer Blick streifte kurz einmal seine Schuhe, alte Dockers. Sie reichte ihm das Bier und setzte sich an das andere Ende der Couch, schlug die Beine übereinander. »Ich heiße übrigens Jana. Und du? Hast du auch einen Namen?«
Da, wo sie sich gekratzt hatte, war jetzt eine Laufmasche, und er nickte. »Pizza wäre gut.« Dann machte er eine Handbewegung, als wollte er das Gesagte aus der Luft wischen, und schmunzelnd stießen sie miteinander an. Der Lack an ihren Nägeln blätterte schon, und sie fuhr mit dem Daumen über den Glasrand, schien nachzudenken, sagte aber nichts. Müde sah sie aus, erschöpft von der Arbeit, hier und da gab es ein graues Haar zwischen den schwarzen, und schließlich trank sie einen großen Schluck Wein und seufzte: »Was für ein Tag!«
Dann nahm sie ihre Ohrringe ab und zündete eine dicke, nach Lavendel duftende Kerze auf dem Couchtisch an, und als sie wieder in die Küche ging, schwangen die Rocksäume etwas weiter aus. Sie öffnete einen Karton und drehte an der Zeituhr der Mikrowelle. »Also, Oswald, Quattro Stagioni. Das Ding ist in neun Minuten fertig. Teller und Besteck findest du hier, und wenn du noch ein Getränk willst, bedien dich. Ich muss erst mal in die Wanne.«
Sie schaltete das Radio an, einen Sender mit klassischer Musik, und ließ die Badezimmertür einen Spalt breit offen. Er nestelte an seinen Schnürsenkeln und brachte die Schuhe in den Flur. Dann zog er die Zigaretten und das Feuerzeug hervor und blickte sich um; nirgendwo stand ein Aschenbecher, und nachdem er an den Sofapolstern und den Kissen gerochen hatte, steckte er alles wieder weg und betrachtete die Bilder an den Wänden, hauptsächlich Landschafts-Aquarelle. Doch auf dem Nachdruck eines Kupferstichs war ein düster dreinblickender Engel zu sehen; eine Wange auf die Faust gestützt, hockte er zwischen allerlei Werkzeug und Kram und schrieb oder zeichnete etwas in ein Heft, und obschon der Hund vor seinen Füßen einem kranken Kalb glich, erinnerte er ihn an die Promenadenmischung, die er einmal gepflegt hatte.
Draußen begann es zu regnen. Die Zeituhr der Mikrowelle klingelte, und er legte die Pizza auf ein Küchenbrett und zerschnitt sie in handliche Stücke. Dann nahm er sich noch ein Bier aus dem Eisschrank und sank wieder auf das Sofa. Kauend drehte er den Kopf in die eine oder andere Richtung, um die Titel in den Bücherregalen zu entziffern. Viele Vers- und Märchensammlungen waren dabei, und als Jana aus dem Bad kam und ein wenig Durchzug die herabhängenden Lesebändchen bewegte, musste er plötzlich an Mausschwänze denken. »Ich kenne auch einen Dichter«, murmelte er.
Fremder sah sie aus ohne ihr Make-up und gleichzeitig privater; es gab eine kleine wunde Stelle am Mund. Sie trug einen dunkelblauen
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