Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
Vom Netzwerk:
werden. Wobei es Drucke waren, die das größere Publikum erreichten, denn sie waren billig und leicht zu reproduzieren. Will man herausfinden, was große Teile der Bevölkerung dachten, geben die Drucke, die sie kauften, wertvolle Hinweise; und einer davon stieß zum Kern der Angelegenheit vor. Er zeigt, Anfang der 1590er Jahre reproduziert, auf der rechten Seite vorne Elisabeth I. Hinter ihr, auf dem Thron, sitzt ihr Vater Heinrich VIII., zu dessen Linken Eduard VI., sein früh verstorbener Sohn, rechts von ihm Maria Tudor, die ältere Tochter, mit ihrem Ehemann Philipp von Spanien. Das erstaunliche ist, dass – Elisabeth ausgenommen – alle auf dem Blatt gezeigten Tudors in den 1590er Jahren bereits tot waren. Heinrich VIII. starb lange zuvor, und seine beiden anderen Kinder waren gestorben, ohne Erben zu hinterlassen.
    Deutlicher als mit diesem Druck, so Susan Doran vom Jesus College, Oxford, habe niemand
«Elisabeth auffordern können, ihren Nachfolger zu benennen. Die Frage der Thronfolge war absolut tabu, und zwar seit 1571, als der Treasons Act verabschiedet wurde, der es zum Verrat erklärte, über die Nachfolge zu sprechen oder gar über den Titel eines möglichen Nachfolgers. Das Abwürgen jeglicher Diskussion wurde im weiteren Verlauf ihrer Regierung offenbar noch bedeutsamer: 1581 wurde ein weiteres Gesetz verabschiedet, das die Notwendigkeit zur Nachfolge zu schweigen, noch verschärfte. Alle kannten in Shakespeares jungen Jahren das Problem, keiner jedoch rührte daran; man tat, als existiere es nicht. Wenn man also ging, ein Shakespearestück über dynastische oder Thronfolgeprobleme zu sehen, die englischen Historienstücke etwa oder Julius Caesar , dann stand diese Frage im Raum, wurde aber nicht ausgesprochen. Und das war nicht nur in Shakespeares Stücken so, sondern in denen aller anderen Autoren auch, in Maskenspielen und anderen Vergnügungen: Den Subtext der Thronfolge aber hat das zeitgenössische Publikum durchaus verstanden.»

    William Rogers , Heinrich VIII. und seine Familie, London in den 1590er Jahren. Der Stich nach de Heeres Gemälde ist John Whitgift, dem Erzbischof von Canterbury, gewidmet. Das Gewand der Königin wurde der aktuellen Mode angepasst, ein neues Gedicht erläutert die dynastische Botschaft.
    Als dieser Druck erschien, war Elisabeth fast sechzig, zu alt also, um selbst für einen Erben zu sorgen; umso heikler die Frage, wer sie beerben würde. Umso erstaunlicher denn auch, dass dieses Bild, das in den 1590er Jahren als Druck kursierte, die Kopie eines anderen ist, das zwanzig Jahre zuvor entstanden war. Wenn wir die Kontinuität, ja die Steigerung dieser nationalen Obsession mit Elisabeths möglichem Nachfolger ermessen wollen, dann bieten die zwanzig Jahre zwischen dem Druck und seiner Quelle ein brauchbares Maß.
    Das Originalgemälde, auf dem der Druck basiert, befindet sich im National Museum of Wales in Cardiff. Sein Maler, Lucas de Heere, war Flame, geboren in Gent und zum Calvinismus übergetreten, was ihn den spanischen Behörden verdächtig machte. (Der König von Spanien war Herrscher auch des größten Teils der Niederlande.) Darum vermutlich ist de Heere nach England gegangen, wohl in den 1560er Jahren. Für den Earl of Lincoln hat er eine – heute zerstörte – Galerie mit Trachten aller Nationen gemalt; den Engländer stellt er dar als einen, der sich nicht entscheiden kann, was er anziehen soll – ein Bild, das, wie wir annehmen können, Königin Elisabeth höchst amüsiert haben wird.
    Die auf dem Rahmen von de Heeres Tudor-Allegorie umlaufende Inschrift sagt uns, wie wir die Königin, ihren Vater, ihre Schwester und ihren Bruder wahrnehmen sollen:
A FACE OF MVCHE NOBILLITYE LOE IN A LITTLE ROOME,
FOWR STATES WITH THEYR CONDITIONS HEARE SHADOWED IN A SHOWE.
A FATHER MORE THEN VALYANT. A RARE AND VERTVOVS SOON. A
ZEALVS DAVGHTER IN HER KYND. WHAT ELS THE WORLD DOTH
KNOWE AND LAST OF ALL A VYRGIN QVEEN TO ENGLANDS IOY WE SEE
SVCCESSYVELY TO HOLD THE RIGHT, AND VERTVES OF THE THREE.
Ein Anblick hoher Vornehmheit auf kleinem Raum.
Vier Majestäten sind hier dargestellt auf einen Blick.
Ein Vater mehr als tapfer. Ein selten tugendhafter Sohn. Eine Tochter, pflichteifrig in ihrer Art. Was sonst die Welt noch wissen mag, als letzte sehen wir eine jungfräuliche Königin, wie sie erfolgreich und zu Englands Freude festhält an Recht und Tugenden der Drei.
    Je länger man das Bild anschaut, desto deutlicher erkennt man die Botschaft an seine

Weitere Kostenlose Bücher