Shakespeares ruhelose Welt
kämpft: Der stets selbstverliebte Richard II. ruft dem Usurpator Heinrich IV. zu: «Vetter, fasst die Krone». Rebellion gehörte schon immer zur Familie.
Hendrik Goltzius, Schlusstafel der Serie The Kings and Queens of England, 1584. Sie zeigt die Tudorherrscher in ihrer zeitlichen Folge, als letzte Elisabeth I. Die Könige tragen Schwert und Schild, die Königinnen Szepter und rautenförmige Wappentafeln.
Der Graf von Richmond hatte, kurz bevor er zu König Heinrich VII. wurde, mit einer Vision des wieder vereinten England den Rosenkrieg beendet:
«RICHMOND: Zerbrich der Bösen Waffe, gnäd’ger Gott,
Die diese Tage möchten wiederbringen,
Daß England weinen müßt’ in Strömen Bluts!
Der lebe nicht und schmeck’ des Landes Frucht,
Der heim des schönen Landes Frieden sucht!
Getilgt ist Zwist, gestreut des Friedens Samen:
Daß er hier lange blühe, Gott, sprich Amen!»
Doch wie wir sahen, wuchsen die Zukunftsängste in den 1590er Jahren wieder. Jeder wusste von den Bürgerkriegen, die in Frankreich tobten, wo sich ausländische Mächte in den blutigen Streit mischten, der bereits seit einer Generation andauerte. Auch in England könnte es leicht dazu kommen.
Wie sich herausstellte, hatte England mehr Glück als Frankreich. Das Bild in Cardiff ist eine Art Historienstück der gesamten Tudordynastie, und als die regierende Lady schließlich von der Bühne abtrat, fand das Stück ein überraschend glückliches Ende. Den walisischen Tudors folgten die schottischen Stuarts auf den Thron – ohne Rebellion, ohne Invasion fremder Mächte, ohne Bürgerkrieg. In Frieden kam Jakob VI. von Schottland 1603 nach London: als Jakob I. von England. Dieser reibungslose Übergang allerdings hat Shakespeares dramatische Untersuchung dieser Themen nicht beendet; seine bewegendsten Erkundungen standen noch aus, mit Macbeth und König Lear kamen sie auf die Bühne. Die mit politischer Gewalt, Stabilität und Legitimität verbundenen Probleme waren nicht erledigt und beschäftigten Shakespeare weiterhin, während die Welt um ihn her neuen Verunsicherungen entgegenging.
Kapitel Fünf
Fechten und Protzen
Stoßdegen und Dolch vom Ufer der Themse
I m sechzehnten Jahrhundert war es durchaus gefährlich auf Londons Straßen. Wer zu Shakespeares Zeit auf der Bühne in aller Ruhe ein Degenduell bewundert hatte, konnte sich, kaum hatte er das Theater verlassen, selbst in einen Kampf verwickelt sehen. Wie in Verona konnte ein Abend auch in London mit blutigen Händeln enden:
«ROMEO: Lieber Mercutio, steck’ den Degen ein!
MERCUTIO: Kommt, Herr! Laßt Eure Finten sehn!
Sie fechten.
ROMEO: Zieh’, Benvolio!
Schlag’ zwischen ihre Degen! Schämt euch doch,
Und haltet ein mit Wüten! Tybalt! Mercutio!
Der Prinz verbot ausdrücklich solchen Aufruhr
In Veronas Gassen. Halt, Tybalt! Freund Mercutio!
Tybalt entfernt sich mit seinen Anhängern.
MERCUTIO: Ich bin verwundet. –
Zum Teufel beider Sippschaft! Ich bin hin.»
Romeo und Benvolio tun, was sie können, um den Kampf zwischen ihrem Freund Mercutio und dem Heißsporn Tybalt zu beenden, vergebens. Mercutio wird erstochen, und wieder ist Blut geflossen auf Veronas Straßen.
Denken wir an Romeo und Julia , dann zu allererst an die Balkonszene, anein Stück über romantische Verwicklungen junger Liebe. Tatsächlich aber ist die Tragödie ebenso sehr ein Stück über privilegierte junge Kerle und ihre Banden, deren Mitglieder einander aufschlitzen; ein Stück auch über das Versagen der Behörden, die solche Händel nicht stoppen können. Romeo und Julia lässt, mit den Banden adliger Degenrowdys und blutbespritzten Straßen, keinen Zweifel daran, dass – für Shakespeare und sein Publikum – Gewalt in der Stadt eines der großen aktuellen Probleme war.
Die Waffen, die zum Einsatz kamen, waren zumeist Dolch und Stoßdegen – ähnlich denen, die heute in den Royal Armouries in Leeds aufbewahrt werden. Der um 1600 gefertigte Dolch ist größer, als man erwarten würde, ungefähr so lang wie ein modernes Tranchiermesser – auch der Dolch, der vor Macbeth in der Luft schwebt, war gewiss keine zierliche Waffe. Sein Begleiter, Rapier oder Stoßdegen, ist nicht gemacht für das Schlachtfeld: Die schlanke Klinge sollte Stoffe durchdringen, keine Rüstungen. Hier geht es um Waffen, wie man sie in den Straßen des elisabethanischen England mit sich führte. Teils modisches Accessoire, teils männliche Wehr – Stoßdegen und Dolch gehörten zum Outfit eines jungen Mannes, der
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