Shakespeares ruhelose Welt
Betrachter: Es ist ein Segen für England, die Tudors zu haben. Nur ihretwegen erfreut sich das Land eines hundertjährigen Friedens. Philipp von Spanien, der unpopuläre Ehemann Marias wurde nach Hause geschickt – man sieht ihn links, Schwarz gekleidet, dargestellt fast wie ein Bösewicht im Pantomimentheater; als einziger unter den königlichen Granden darf er nicht auf dem großen Teppich stehen. Die hinter ihm lauernde Allegorie des Krieges ist eine verdrießliche Erinnerung daran, wie dieser König England in seine europäischen Kriege verwickelte – in denen, fatalerweise, Calais verloren ging und an Frankreich fiel – und daran, wie Philipp seinen Verbündeten anschließend im Stich ließ. Rechts dagegen eilen, Elisabeth zu unterstützen, die Allegorien des Friedens und der Fülle herbei, die eine unter ihren Füßen Waffen zertretend, die andere beladen mit Früchten und Blumen. Über dem Thron stützen der englische Löwe und der walisische Drache das königliche Wappen. Allegorisch stellt das Gemälde Legitimität und Wohltaten der Herrschaft Elisabeths dar und erhebt sie so zum Höhepunkt einer legitimen Folge der Tudorherrscher.
Damit enthält de Heeres Allegorie, gemalt um 1571, die stärksten Argumente, Elisabeth genau so zu sehen, wie sie gesehen werden wollte – sie wird das Bild geschätzt haben, auch wenn sie es nicht selbst in Auftrag gab. Große Malerei ist es nicht. Niemanden wird begeistert haben, wie Lucas de Heere die Falten des Samtgewandes oder das Funkeln der Juwelen (das eben fehlt) gemalt hat. Doch so glanzlos seine Oberflächen, die Botschaft des Bildes ist kristallklar bis heute: England und Wales können sich glücklich schätzen, Elisabeth zur Herrscherin zu haben. Zeitgenossen, die das Bild sahen, werden dankbar gewesen sein für das, was ihre Herrschaft brachte, zugleich aber auch ängstlich, denn Frieden und Wohlfahrt, so real sie waren, blieben fragil. Alles hing am Überleben der Königin, alles wäre gefährdet, sollte sie den Falschen heiraten oder ohne Erben sterben. Und all das, soviel lässt sichmit Fug sagen, war jedem Elisabethaner auf der Stelle klar, wenn er oder sie vor Lucas de Heeres Bild stand.
Als der Flame es malte, war Shakespeare sieben Jahre alt. Und es zeigt, wovor die Welt sich fürchtete, in der er aufwuchs. Gleichwohl war es nicht für die Allgemeinheit der elisabethanischen Betrachter gemalt: Es richtete sich an einen ganz bestimmten, wie man unteren Rahmen in folgenden Worten erfährt:
THE QVENE TO WALSINGHAM THIS TABLET SENTE MARKE OF HER PEOPLES AND HER OWNE CONTENTE
Die Königin sendet Walsingham dieses Tableaux, als Zeichen der Zufriedenheit ihrer Völker und ihrer selbst
Der Empfänger, Sir Francis Walsingham, war Elisabeths Meisterspion, spezialisiert darauf, Verschwörungen gegen das Leben der Königin aufzudecken. 1569 hatte sich im Norden Englands eine mächtige Gruppe katholischer Adliger gegen sie erhoben. Dann hatte sich, von den Spaniern unterstützt, der ausländische Bankier Ridolfi mit dem Herzog von Norfolk verschworen, Elisabeth zu stürzen. Walsingham war es, der das Komplott aufdeckte und Norfolk aus Schafott schickte. Anfang der 1570er Jahre, als das Bild entstand, wusste, wer es zu Gesicht bekam, dass die Königin gerade einem Anschlag entgangen war.
Wir wissen nicht, wo Walsingham das Bild platzierte; denkbar ist, dass es über dem Schreibtisch hing, von dem aus er seine Anweisungen an das Netzwerk seiner Spione sandte, das er zum Schutz der Königin geknüpft hatte. Die nächsten zwanzig Jahre konnte er, zu diesem Bild aufschauend, mit einigem Stolz an die Rolle denken, die er dabei spielte, sie vor einer ganzen Reihe von Anschlägen, Verschwörungen und Attentaten zu schützen – Shakespeare übrigens war einer der ersten, der das Wort «assassination» im Druck verwendete; er und seine Zeitgenossen lebten in einem Land, das sich an die Vorstellung von Anschlägen und Königsmorden hatte gewöhnen müssen. Als Walsingham 1590 starb, befand sich das Gemälde, wie wir annehmen,noch immer in seinem Besitz – die Frage aber, wer der Königin nachfolgen würde, war der Lösung keinen Schritt näher.
Wenn wir noch einmal auf das Blatt aus den 1590ern schauen, auf die Reproduktion des Gemäldes von 1571, dann mag uns schon erstaunen, dass sich in jenen zwanzig Jahren nichts verändert haben soll. Allein das Kleid der Königin wurde der Mode der 1590er Jahre angepasst, sonst aber scheint alles beim Alten geblieben zu sein.
Weitere Kostenlose Bücher