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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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größeres Geschäft drängte, mussten die Theaterbesucher nach draußen gehen, wahrscheinlich ans Flussufer.»

    London, Ansicht von der South Bank, aus: John Speed , The Theatre of the Empire of Great Britaine, 1611/12. Zu sehen sind die London Bridge sowie die Attraktionen von Southwark, darunter das Globe und das Hope.
    Die Freilufttheater der Shakespearezeit brauchten Tageslicht. Alle öffentlichen Aufführungen waren also Matinees, begannen am frühen Nachmittag und dauerten kaum länger als bis fünf Uhr, im Winter ganz sicher nicht. Normalerweise hatten die Zuschauer, wenn sie ins Theater kamen, ihre Hauptmahlzeit bereits verzehrt; so auch der Schweizer Thomas Platter, der das Globe 1599 besuchte:
«Den 21. septembris nach dem imbißeßen, ettwan umb zwey uhren bin ich mitt meiner gesellschaft über daß waßer gefahren, haben in dem [strohgedeckten Theaterhaus] die tragedy vom ersten keyser Julio Caesare mit ohngefähr 15 personen sehen gar artlich agieren … Auf ein andere Zeit hab ich nicht weit von unserem wirdtshaus … auch nach eßens ein comedien gesehen … Und also werden alle tag umb 2 uhren nache mittag in der statt Londen zwo bißweilen drei comedien an underscheidenden örteren gehalten, damit einer den anderen lustig mache; denn welche sich am beßten verhalten, die haben auch die meisten zuhörer.»
    Der Markt, auf dem Shakespeare konkurrierte, war also heiß umkämpft.

    Gustus (Geschmack), aus: Crispijn de Passe der Ältere (1590–1637) , The Five Senses . Schalentiere waren ein preiswerter, vorab gepackter Imbiss für Theaterbesucher. Entsprechend große Mengen von Austern- und Muschelschalen wurden an den Southwark-Theatern ausgegraben.
    Gespielt wurde in den Freilufttheatern ohne Pause; und selbst in gedeckten Spielstätten wie dem Blackfriars unterbrach man nur kurz, um die Kerzen zu putzen. Für eine Bar oder ein Foyer im modernen Sinn gab es keinen Platz, darum liefen Leute durchs Theater, die Nüsse, Früchte, Bier, Ale verkauften; verzehrt wurde an Ort und Stelle. Nochmals Platters Bericht: «Und tragt man werender comedy zu eßen undt zu trinken unter den leuten herumb, mag einer umb sein gelt sich also auch erlaben.»
    Die Theater allerdings waren meist umgeben von Gasthäusern, die die heutigen Funktionen von Kneipe, Restaurant und Bar in sich vereinten. Wir wissen, dass den Theatern Rose, Globe und Fortune ein tap house , eine Taverne, angegliedert war, wo Erfrischungen zubereitet wurden. John Heminges, ein Mitglied in Shakespeares Ensemble, war verantwortlich für das tap house , das unmittelbar beim Globe gebaut wurde und zu den Einnahmen der Kompanie vermutlich direkt beitrug. Auch die vielen lukrativen Gastronomiebetriebe von Southwark lebten von den florierenden neuen Theatern – auf der Southbank ist das auch heute nicht anders, wieder drängen sich dort, vom rekonstruierten Globe bis hin zum National Theatre und der Royal Festival Hall , beliebte Restaurants.
    Während die Parkettsteher Äpfel oder Austern kauften, vielleicht ein Bier öffneten, brachten die Reichen ihr eigenes, exklusiveres Essen mit, dazu Gläser und Besteck. Aus diesen Kreisen kam die Person, der die elegante Gabel aus der Hand geglitten sein muss, die Jahrhunderte später am ehemaligen Standort des Rose ausgegraben wurde. Sie kann nur jemandem mit weltläufigem Geschmack gehört haben, vermutlich einem Angehörigen höherer Stände. Wir können keinen Namen mit den Initialen A. N. verbinden, also auch nicht herausfinden, wem diese Gabel gehört hat, wer sie bei den teuren Sitzen seitlich der Bühne achtlos liegen oder herunterfallen ließ. Shakespeare allerdings, der zu dieser Zeit auf der Bühne des Rose auftrat, hätte durchaus wissen können, wer sich, schick und gabelpickend, hinter «A. N.» verbarg.
    Man könnte an einen Adligen denken oder an einen eleganten Herrn, der vor der Vorstellung zu Tisch gesessen hatte, das Dessert jedoch in seiner Loge des Theaters nahm. Diese vertraulichen Räumlichkeiten (Orte «nur fürden Adel», wie der Dramatiker Thomas Heywood schrieb) fanden sich häufig direkt neben der Bühne, hatten womöglich separate Eingänge, damit sich die Elite nicht mit den groundlings auf den billigen Plätzen gemein machen musste. Vielleicht waren diese Separés auch über den tiring room , die Garderobe, zu erreichen, was das Privileg einer Plauderei mit den Schauspielern geboten hätte.

    Zuschauer im rekonstruierten Globe ; gespielt wird Heinrich IV., Teil 1,

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