Shakespeares ruhelose Welt
Noch immer sehen wir die Dynastie der Tudors, noch immer ist Elisabeth die letzte in der Folge. Sie hatte keinen Erben geboren, keinen Nachfolger berufen.
Die Wiederauflage der «Allegorie der Tudornachfolge» als Druck in den 1590er Jahren, als Elisabeth sichtlich zu altern begann, kann als Zeichen banger Ahnung betrachtet werden. Diente das Gemälde dem Zweck, die Legitimität ihrer Herrschaft zu bekräftigen, so fing das Wiederauftauchen des Bildes als weithin zugänglicher Druck die eher dunklen Befürchtungen ein, die in der Öffentlichkeit hinsichtlich der Zukunft bestanden. Der Text, der das Bild ursprünglich rahmte, ist ersetzt worden durch ein neues, drei Verse langes Gedicht, das ausdrücklicher antikatholisch war und Königin Maria verurteilte:
«Now Prudent Edward dyinge in tender youth, Queen Mary then the Royall Sceptre swayd: With foraine blood she matchet and put down truth, Which England’s glory suddainly decayd: Who brought in war & discord by that deed.»
«Als Eduard der Besonnene in zarter Jugend starb, Königin Maria das königliche Szepter führte: Mit fremden Blut verband sie sich, das Wahre missachtend, womit auf der Stelle Englands Ruhm zerging: Krieg & Zwietracht brachte sie mit diesem Tun.»
Susan Doran erläutert, welche bedeutsamen Veränderungen hinter den Kulissen vorgegangen waren:
«Man hatte die Hoffnung, dass Elisabeth den Bürgerkrieg und auch eine Übergangsperiode vermeiden würde, die die Katholiken und ausländische Mächte, insbesondere Spanien, hätten ausnutzen können. 1591 bestand diese Gefahr, dass sich über der ungeklärten Thronfolge ein internationaler Krieg entwickeln könnte, so wie dies zur gleichen Zeit in Frankreich geschah. Nach dem Tod Heinrichs III. kam der Protestant Heinrich IV. auf den Thron, das war umstritten. Dann kam Spanien ins Spiel und opponierte gegen dessen Übernahme des französischen Throns. In England nun ging die Angst um, nach Elisabeths Tod könnte ähnliches geschehen, und darum wurde im Parlament Druck ausgeübt auf die Königin, insgeheim auch von einigen persönlichen Beratern und von Jakob VI. von Schottland, der zum Nachfolger ernannt werden wollte. Das war, in den 1590er Jahren, die topaktuelle Frage.»
Sir Francis Walsingham, vermutlich nach John de Critz dem Älteren, um 1587. Damals war Walsingham eines der bedeutendsten Mitglieder von Elisabeths Regierung.
Die Bedrohung durch Philipp von Spanien war real und vielfältig: Er war der mächtigste Herrscher in Europa, war mit Königin Maria verheiratet gewesen und trug noch immer den Titel «König von England»; mit Johann von Gent verwandt, war er ein legitimer Nachkomme des Hauses Lancaster mit Anspruch auf den englischen Thron; und in den 1590er Jahren hatte er auch Erben, die ihm nachfolgen konnten. Für jene, die sich einen katholischen Monarchen wünschten, war Philipp von Spanien der ideale Thronprätendent.
Doch gab es einen weiteren, dem Land näherstehenden Kandidaten. Maria Stuart, die Königin von Schottland – Hauptthronprätendentin der 1560er Jahre – war inzwischen enthauptet worden, aber sie hatte einen erwachsenen Sohn, Jakob, der ebenfalls der Linie der Tudors entstammte. In den 1590er Jahren, als unser Druck entstand, saß er auf dem schottischen Thron, war bereits ein erfahrener Herrscher und seine Familie wuchs. Englands Protestanten hofften also auf Jakob VI. von Schottland.
Gleichwohl, in England verbot der Treasons Act jede Debatte über Elisabeths Nachfolge. (Woran sich allerdings nicht alle hielten. Ein Autor war der Meinung, die Königin brauche unbedingt einen Traktat, den er mutig überschrieb: Eine bündige Mahnung an Ihre Majestät, Ihren Thronnachfolger einzusetzen . Der Mann war nicht gut beraten. Denn dafür konnte man, wie es dem Autor Peter Wentworth tatsächlich widerfuhr, ohne großes Federlesen im Tower enden.) In graphischen Blättern allerdings und indirekt auf der Bühne ließ sich die Nachfolgefrage durchaus anschneiden – vorausgesetzt, man war so geschickt wie Shakespeare und vermied es, allzu deutlich eine bestimmtePosition zu beziehen. Als Shakespeare in den 1590er Jahren den Rosenkrieg dramatisierte, geschah dies eben auch als loyale Propaganda: Er zeigte die fürchterliche Krise, aus der die Tudors England gerettet hatten. Zugleich jedoch offenbaren die Historien eine tiefe Besorgnis über die offene Thronfolge, die doch nur dazu führen konnte, dass ein königlicher Verwandter nach dem anderen um die Vorherrschaft
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