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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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unterwegs war in der Stadt.
    Wen es aus der City hinüber ans Südufer zog, der hatte zu Shakespeares Zeit zwei Möglichkeiten. Entweder man lief über die London Bridge, oder man nahm Ruderboot oder Fähre über den Fluss. Unser Dolch wurde im südlichen Uferstreifen der Themse gefunden: Vermutlich hat ihn ein junger Mann verloren, beim Einsteigen in ein Boot, vielleicht auch beim Aussteigen. Wir wissen nicht, ob dieser junge Mann Händel suchte, als er in Southwark an Land ging. Ebenso wenig wissen wir, wie er gekleidet war, wahrscheinlich aber trug er sein bestes Gewand und wollte sich amüsieren, denn der eigentliche Grund, aus dem ein junger Mann das Südufer aufsuchte, waren die wilden Etablissements der Bankside, von denen schon in Kapitel Drei die Rede war.
    Da gab es die Theater – das Rose , das Swan , das Globe . Daneben aber auch Bärenhatz und Hahnenkämpfe, Bordelle und Wirtshäuser – alle leicht zu erreichen, alle idealerweise außerhalb der Reichweite der Behörden drüben in der City von London. Mindestens fünf Etablissements boten rund um Rose und Globe das Spektakel der Bärenhatz, und einige der wilden Zotteltiere wurden zu nationalen Berühmtheiten – der gefeierte Bär Sackerson bekam sogar eine Nebenrolle in Die lustigen Weiber von Windsor:
«SCHMÄCHTIG: Das ist nun Essen und Trinken für mich, seht Ihr, den Sackerson habe ich wohl zwanzigmal los gesehn, und habe ihn bei der Kette angefaßt; aber das muß wahr sein, die Weiber haben so gequiekt und geschrien, daß es eine Art hatte; aber die Weiber können sie überhaupt nicht ausstehn; es sind recht garstige rauhe Dinger.»
    Das Südufer mit seinen wilden Vergnügungen, Ort der jugendlichen Draufgänger und der Impresarios, die nur rasch Geld machen wollten, konnte ein gefährlicher Platz werden, wenn Gruppen elisabethanischer Halbstarker – vom Kaliber der Charaktere aus Romeo und Julia – tödliche Waffen trugen. Toby Capwell, als Kurator für die Waffen der Wallace Collection zuständig, erklärt:
«Sobald sie [die Waffen] zu seiner Staffage als Gentleman gehörten, kam stets auch die Versuchung, sie einzusetzen. Wenn jeder zu jeder Zeit einen Degen trägt, dann ist dieser, sobald es Streit gibt, auch ganz schnell gezogen.»
    Wer elegant sein wollte im sechzehnten Jahrhundert, musste einen Degen tragen. Nur einem Gentleman war das gestattet, und von einem wahren Gent erwartete man das auch; wie wir wissen, trug auch Shakespeare ein Rapier. So sollte uns nicht überraschen, dass in Romeo und Julia das Wort «blade» (Klinge) zum ersten Mal als Bezeichnung eines modebewussten jungen Kerls verwendet wird. Wenn die Szenen zwischen den Rabauken Tybalt und Mercutio noch heute lebendig wirken, dann nur, weil solche Duelle keine Erfindungen sind, sondern Stoff aus einem rauen Alltag.
    Unerlässlicher Begleiter des Dolchs war das Rapier, der Stoßdegen, und auch dieses schöne Stück wurde im Ufergelände der Themse gefunden – auch er vielleicht der Tribut an eine wilde Nacht in Southwark, dem Besitzer aus Hand oder Gehänge geglitten, als dieser, auf dem Weg nach Hause, betrunken zu den Ruderbooten torkelte. Eine wirklich imposante Waffe: Allein die Klinge ist über einen Meter lang, zweiseitig geschliffen, scharf auch die Spitze – geeignet also zu Hieb und Stich. Und ergänzt durch einen Dolch, der, gewöhnlich mit der Linken geführt, zum Parieren und Stoßen auf kurze Distanzen diente.
    Dieses Rapier ist, auch das sieht man sofort, eine elegante teure Waffe, deren Verlust für den Besitzer schmerzlich gewesen sein muss. Denn sie war kunstvoll gearbeitet – der Griff wirkt, als winde sich eine lange dünneMetallschlange um die Basis der Klinge zu einem Korb, der die Hand des Fechtenden schützt. Eine Waffe wie diese wurde in der elisabethanischen Zeit in einem hanger oder girdle getragen, dem «Degengehenk», einer Art Schlinge am Gürtel. Dies erleichterte das Tragen, denn die Waffe lag gewiss schwer in der Hand. Dazu noch einmal Toby Capwell:

    Ausflug zur Bankside, aus: Michael van Meers Freundschaftsbuch, um 1619. An der Themse gab es unzählige Fährleute, die ihre Kunden über den Fluss und zurück brachten. Diese Männer waren aktive Unterstützer der Southwark Theater, umgekehrt verbesserte deren Beliebtheit die Einkünfte der Schiffsleute.
«Wir stellen uns Stoßdegen immer als federleichte, blitzende Klinge vor, als die Waffe von Errol Flynn und Douglas Fairbanks, als etwas ganz anderes als mittelalterliche Schwerter, die

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