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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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wir für schwer und unhandlich halten.
Das allerdings ist eine irrige Vorstellung: Mittelalterliche Schwerter waren nämlich sehr leicht, Rapiere dagegen in der Regel ziemlich schwer, in einer ungeübten Hand konnten sie durchaus plump und schwerfällig erscheinen.»
    Befanden sich Stoßdegen und Parierdolch jedoch in geübten Händen, dann glich, was an Bewegungen zu sehen war, einer musikalischen Darbietung, einem exquisiten Totentanz – in den Worten Mercutios:
«MERCUTIO: Er ficht, wie Ihr ein Liedlein singt: hält Takt und Maß und Ton. Er beobachtet seine Pausen: eins – zwei – drei: – dann sitzt Euch der Stoß in der Brust. Er bringt Euch einen seidnen Knopf unfehlbar ums Leben. Ein Raufer! ein Raufer! Ein Ritter vom ersten Range, der Euch alle Gründe eines Ehrenstreits an den Fingern herzuzählen weiß: [Ach, der göttliche passado ! Der punto reverso ! Der Rundtanz!]»

    Jan van de Velde II. (1608–1642) , Studie eines Gentleman mit Degen und Dolch . Stoßdegen und Dolch waren notwendige Accessoires für einen Herrn der frühen Neuzeit. Auch wenn der Mantel schmuck um den Körper drapiert ist, die Waffe bleibt deutlich sichtbar.
    Mercutios Beschreibung des Geschicks, mit dem Tybalt Degen und Dolch zu führen weiß, hält eine Version der Fechtkunst fest, die damals neu war in England. Wie Alison de Burgh, Fechtmeisterin am National Theatre, erklärt, war Tybalts Fechten nicht nur tödlich, es war auch der letzte Schrei ausländischen Schicks:
«Shakespeare greift den damaligen Streit zwischen der englischen Schule des Schwertkampfs und der neuen italienischen Schule des Rapierfechtens auf. In Romeos Familie ficht man noch im altenglischen Stil des Schwertkampfs, die Capulets dagegen schlugen sich in der neuen italienischen Manier; das zeigt sich in der Sprache, die Mercutio wählt, um sich über Tybalts Fechtstil lustig zu machen. Er spricht von passado, punto reverso , erfindet eine Figur, die er hay nennt. Und mit Mercutios Worten, seinem Spott über Tybalts Aktionen, zitiert Shakespeare einen Gentleman, der ein Handbuch zur englischen Fechtkunst verfasst hat, in dem er die italienische Schule kritisiert: Vincentio Saviolo. Dieser berühmte italienische Fechtmeister hatte kurz zuvor eine Schule eröffnet und ein Handbuch zu seinem Fechtstil geschrieben. Der Engländer George Silver wiederum setzte ein Handbuch dagegen, in dem er den englischen Stil verteidigt, den italienischen herabwürdigt. Mercutio benutzt Worte und Sätze aus Silvers Handbuch.»
    So sind die Montagues gute, aufrechte und ordentliche Engländer, die Capulets dagegen werden – und die Zuschauer haben das natürlich verstanden – als fragwürdige Modegecken und fremdländische Gesellen gezeigt.
    Für einen Mann von Welt war die Qualität von Stoßdegen und Parierdolch äußerst wichtig, so wie heute Armbanduhr oder Turnschuhe. Wenn der brave Höfling Osric in Hamlet die Wette zwischen dem König und Laertes ankündigt, sind die Klingen, von denen er spricht, ebenso sehr Statussymbole wie Waffen:
«OSRIC: Der König, Herr, hat mit ihm sechs Barberhengste gewettet; wogegen er, wie ich höre, sechs französische Degen samt Zubehör, also Gürtel, Gehenke und so weiter, verpfändet hat. Drei von den Gestellen sind in der Tat dem Auge sehr gefällig, den Gefäßen sehr angemessen, unendlich zierliche Gestelle, und von sehr geschmackvoller Erfindung.»

    Illustration aus George Silver , Paradoxes of Defence, 1599. Der Autor war ein Vertreter der englischen Schule des Fechtens, damit Gegenspieler des italienischen Fechtmeisters Saviolo – beider Techniken allerdings setzten auf Degen und Dolch.
    Eine Wette, in der ein halbes Dutzend Rapiere und Dolche gegen sechs Berberpferde stehen, zeigt, wie enorm wertvoll ein «geschmackvolles» Paar dieser Waffen sein konnte.
    Aber das Ganze war nicht nur eine Frage der Mode. Bei Stoßdegen und Parierdolch ging es auch um die schweren körperlichen Verletzungen, die sie verursachen konnten: Sie behaupteten Ehre und verteidigten diese auch. Dem Problem der Straßengewalt im Europa des sechzehnten Jahrhunderts begegnete die Obrigkeit mit Verordnungen, die den Einsatz von Blankwaffen einschränkten:
«ROMEO: Der Prinz verbot ausdrücklich solchen Aufruhr
In Veronas Gassen. Halt, Tybalt! Freund Mercutio!»
    Einige Militärs verachteten das Fechten als Zeitverschwendung, «bei der Männer einander abschlachten hier zuhause und im Frieden», statt sich ernsthaft auf den Waffengang im Krieg

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