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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Prospero auch an seiner magischen Praxis fest. Doch er gibt sie auf. Sobald erGerechtigkeit, Ordnung und Glück auf der Insel wiederhergestellt hat, kann er Egoismus und Überheblichkeit des Magus anprangern:
«PROSPERO: Doch dieses grause Zaubern
Schwör’ ich hier ab; und hab’ ich erst, wie jetzt
Ich’s tue, himmlische Musik gefordert,
Zu wandeln ihre Sinne, wie die luft’ge
Magie vermag: so brech’ ich meinen Stab,
Begrab’ ihn manche Klafter in die Erde,
Und tiefer, als ein Senkblei je geforscht,
Will ich mein Buch ertränken.»
    Prosperos Preisgabe der Magie wurde gelegentlich als Bild für Shakespeares Abschied von der Bühne interpretiert – Der Sturm , geschrieben um 1610, war das letzte Stück, das er als alleiniger Autor verfasst hat. Doch nicht weniger erstaunlich ist Shakespeares Botschaft über die Weisheit einiger außergewöhnlicher Menschen, die sich entschieden, auf ihre Fähigkeiten zu verzichten: Prospero verfügt über genügend Selbstdisziplin, seine übernatürlichen Kräfte aufzugeben. In Doctor Faustus – Marlowes Stück über die Gefahren von Wissen, Macht und Gier – bietet der erschrockene Faustus an, «seine Bücher zu verbrennen», um der Hölle zu entkommen; Prospero dagegen versenkt sein Buch der Magie freiwillig, das er zuvor noch zu den Bänden «mehr wert mir als mein Herzogtum» gerechnet hatte.
    Dees späteres Leben und der Niedergang seiner Magie waren weniger glücklich und weniger ruhmreich. 1595 ernannte ihn Elisabeth zum Rektor des Christ’s College in Manchester, von ihrem Nachfolger aber erfuhr er solche Gunstbeweise nicht: Jakob I. war bekannt für seine ablehnenden und rigorosen Ansichten über Zauberkünste (siehe Kapitel Zehn). Die meisten Mitglieder von Dees Familie fielen wohl der Pest von 1605 zum Opfer; er zog sich mit der einzigen überlebenden Tochter von Manchester auf sein Schloss Mortlake zurück; sie sorgte in seinen letzten Jahren für ihn. Diese verbrachte er in ziemlicher Armut, seine berühmte Bibliothek – eine der größten seiner Zeit – wurde auseinandergerissen, große Teile seines Besitzes wurden verkauft.
    Nach seinem Tod galt Dee über viele Generationen als zweifelhafter Charakter, als Scharlatan, der sich in einer leichtgläubigen Gesellschaft mit Zaubertricks und gewandter Zunge einen unverdienten Status verschafft habe. Horace Walpole, Schriftsteller und Politiker des achtzehnten Jahrhunderts,der irgendwann Dees magischen Spiegel für seine Sammlung antiquarischer Dinge erwarb, verunglimpfte Dee als «Zauberer»: Er habe den Spiegel benutzt, um das «gemeine Volk zu betrügen». Heute aber gilt Dee als originärer Wissenschaftler und Denker, als Universalgelehrter, dessen Interessen von der euklidischen Geometrie, der Kalenderreform und den geographischen Entdeckungsreisen bis zu Astrologie, Alchemie und Engelsbeschwörung reichten. Man reiht ihn ein in ein geistigesKontinuum, das von aus gesprochenen Scharlatanen wie seinem zeitweiligen Mitarbeiter, dem Astrologen Edward Kelley, über Tycho Brahe und Galileo Galilei bis zu Leuchten der naturwissenschaftlichen Revolution wie Isaac Newton reicht – wobei das Interesse, das einige von ihnen der Alchemie und dem Okkulten entgegenbrachten, weitaus mehr mit einer Gestalt wie Dee zu tun hatte, als gemeinhin eingeräumt wird.

    Derek Jacobi als Prospero in Der Sturm, Sheffield Crucible Theatre 2002. Für seinen Magus Prospero konnte sich Shakespeare sowohl auf historische Figuren wie auf populäre Bühnengestalten beziehen, auf Dr. Dee und auf Dr. Faustus.
    Zu seinen Hochzeiten als Magus bemühten sich ehrgeizige Herrscher aus ganz Europa um Dee. Von Louvain bis Prag fragten sie ihn um Rat, dabei konnte es ebenso um Bodenschätze in beiden Amerikas gehen wie darum, die Zukunft vorherzusagen. Und so folgte auch Dee dem Weg, den so gut wie alle anderen Wissenschaftler und Magier seiner Zeit gingen, von Johannes Kepler bis Giordano Bruno: Auch er landete schließlich, im Jahr 1583, am Hof von Kaiser Rudolf II., einem Freund der Wissenschaften. Dessen Prager Palast war, wie der Rasenplatz vor Mortlake, ein Ort, an dem die politisch Mächtigen der Macht der Geister ihre Referenz erwiesen. Dr. Dees Geister waren für gewöhnlich wohltätig – wie die Prosperos, auch wenn er sie in Der Sturm für einen Schiffbruch sorgen ließ. Andere konnten dunklere, gefährlichere Kräfte heraufbeschwören. Im folgenden Kapitel werden wir ein anderes (von Geistern hervorgerufenes) Unwetter auf See

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