Shaman Bond 04 - Liebesgrüsse aus der Hölle
aufgesucht«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben. Ihre Lippen berührten meine Haut. »Er ist immer noch ein Vogelfreier, er mag es so. Wenn er sich wieder der Familie anschlösse, würden sie versuchen, ihn wieder nach Hause zu holen, und das könnte er einfach nicht. Er war zu lange allein. Er könnte es nicht ertragen, wieder von Menschen umgeben zu sein. Es würde ihn umbringen. Wie auch immer, es war ihm unangenehm zu wissen, dass irgendjemand sein Loch kannte, also ist er umgezogen. Und diesmal hat er das Loch hinter sich zugemacht. Selbst ich weiß nicht mehr, wo er jetzt ist. Ich kann nur per E-Mail mit ihm reden, die so viele Umwege gegangen ist, dass niemand sie zurückverfolgen kann. Ich nahm an, wenn jemand die Wahrheit über das wüsste, was unseren Eltern zugestoßen ist, dann er. Er wusste es nicht, aber er glaubte, jemanden zu kennen, der vielleicht etwas wüsste. Er schickte Isabella und mich in diese kleine Stadt im Südwesten Englands, Bradford-on-Avon. Um mit dem ältesten noch lebenden menschlichen Wesen der Welt zu sprechen: Carys Galloway, der Schlaflosen Schönheit.«
Molly erzählte weiter.
»Bradford-upon-Avon ist eine wirklich alte Stadt. Es war die letzte keltische Stadt, die den einfallenden Sachsen im Jahre 504 n. Chr. in die Hände fiel. In den Hügeln über der Stadt gibt es noch Überreste einer eisenzeitlichen Siedlung. Seltsame Kreaturen und noch seltsamere Leute leben in dieser Kleinstadt, und Merkwürdigkeiten und Wunder finden sich dort. Mit dunklen Mächten und noch dunkleren Geheimnissen. Einige der Leute, die dort wohnen, leben schon so lange, dass sie nicht einmal mehr Leute sind. Und sie wissen Dinge, die sonst keiner weiß.
Es ist ein hübscher Ort. Isabella und ich verließen den Bahnhof und spazierten einfach eine Weile herum, genossen die verschiedenen architektonischen Stile, von kleinen, gebückten Katen zu Webermietshäusern aus dem siebzehnten Jahrhundert, von Herrenhäusern bis zu futuristischen Apartments. Aus jeder Zeit, zusammengepfercht an einem Ort. Hat mich ein bisschen an Drood Hall erinnert. Außer dass die Leute viel freundlicher waren.
Die Stadt sah anfangs völlig normal aus, aber als wir sie durch unsere Sicht betrachteten, änderte sich alles. Es war, als würde nur das ausreichen, uns wegzuschieben, in eine auf subtil Weise andere Welt. Wir spazierten über die Brücke aus dem dreizehnten Jahrhundert über den Fluss Avon und kamen an einer alten Steinkapelle vorbei, die man in die Mauer der Brücke gebaut hatte, gerade groß genug für ein oder zwei Leute. Etwas darin warf sich von innen gegen die Wände, und ein schrecklicher Schrei erklang in meinem Kopf, ein unmenschliches Heulen, das von Leid und Verzweiflung sprach, mal lauter, mal leiser, aber unaufhörlich. Isabella schnappte meinen Arm und zog uns vorwärts. Ich fand später heraus, dass es das Heulende Ding heißt; eines der wirklich alten Monster. Dort gefangen seit Jahrhunderten und immer noch büßend. Es verbüßt seine Zeit, jede verdammte Sekunde.
Feine, vielfarbige Sylphiden tanzten auf der Oberfläche des Flusses, schossen mit hoher Geschwindigkeit hierhin, dorthin und hoch in die Luft und hinterließen dabei funkelnde Spuren. Ein Dutzend von ihnen sprang direkt über die Brücke, und als die schimmernde Spur auf mich fiel, wurde ich kurz von purer, unschuldiger Freude ergriffen. Andere Dinge bewegten sich in den langsamen, dunklen Wassern - Wesen, die alt und neu waren, und einige, bei denen ich einen Eid auf einen Stapel Zauberbücher hätte schwören können, dass sie in der materiellen Welt nicht mehr existierten. Es gab auch Schwäne, majestätisch und stolz, die unbewegt zwischen den anderen magischen Kreaturen schwammen.
In der Stadtmitte fanden wir Denkmäler alter Galgen, an denen so viele Menschen während der alten Weberaufstände gehenkt worden waren. Man konnte immer noch Geister sehen, die an den Galgen hingen und liebenswürdig miteinander sprachen. Sie waren gerade eben noch sichtbar und schillerten in allen Farben, wie Seifenblasen. Aber ihre Gegenwart im Sonnenlicht fühlte sich hart und beinahe brutal an. Ich bot ihnen an, sie von ihrem Todesort zu erlösen und ihnen zu helfen, ihren Weg zu gehen, aber sie lehnten ab. Sie waren in der Stadt nicht gefangen, sie hatten selbst gewählt zu bleiben, die Stadt und ihre Abkömmlinge zu schützen. Ein paar von ihnen lachten fies. Die Stadt hat Feinde, sagten sie mit diesem fiesen Lachen. Lasst sie kommen. Lasst sie alle
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