Shampoo Planet
bekannt als Giftmülldepot. Theoretisch wird in diesem Mülldepot Texicano-Essen serviert. »Aber sehen wir doch den Tatsachen ins Gesicht«, sagt Anna-Louise, »es sind Schnellgerichte, garniert mit scharfem Chili, aber das macht nichts. Es ist marginal.«
Meistens bestelle ich im Mülldepot einen Fungus Humungus Burger: Hamburger-Hackfleisch, das Mr. Velasquez von der Mafia kauft (ohne Zweifel bis obenhin angereichert mit Sägespänen aus Espenholz und durch den Wolf gedrehten Mordopfern), im Übermaß versehen mit zähen, frisch abgezogenem Walspeck ähnlichen Pilzklumpen. Anna-Louise bestellt immer Diät-Colas.
»Tyler«, sagt Anna-Louise, als wir uns dem Mülldepot nähern, »ich habe dich vermißt, als du in Europa warst, weißt du.«
»Du hast mir auch gefehlt.«
»Tyler...« Pause. »Hast du drüben etwas erlebt? Ich hätte nicht fragen sollen. Setze ich dir sehr zu? Es ist nicht fair von mir zu fragen. Ich halte schon den Mund.«
»Wovon redest du überhaupt?«
»Es ist nur...« Sie findet es zu schön. »Du wirkst distanzierter als vor deiner Abreise. Ich denke, wenn Leute distanziert sind, heißt das meistens, daß sie ein Geheimnis haben, das sie dir nicht sagen wollen, weil sie glauben, du seiest dem nicht gewachsen.« »Was?«
»Nichts. Es ist nur in meinem Kopf. Schau. Da steht Skyes Wagoonmobile.« Sie dreht sich zu mir herum. »Aber du würdest es mir doch sagen, wenn du ein Geheimnis hättest, nicht wahr? Ich werde mit allem fertig. Das weißt du.«
»Ich weiß.«
»Gut. Komm, wir gehen rein.«
Während Anna-Louise ins Mülldepot geht, überprüfe ich noch einmal, ob die Autotüren verschlossen sind.
Stell dir vor, du setzt dich auf einen Stuhl, und auf einem Bildschirm vor dir wird dir ein Film voller Blut und Aufschlitzerei von dir selbst gezeigt, in dem du dich einem chirurgischen Eingriff unterziehst. Diese Operation rettete dir das Leben. Sie hat dich entscheidend zu dem gemacht, was du bist. Aber du erinnerst dich nicht daran. Oder doch? Verstehen wir die Geschehnisse, die uns zu denen machen, die wir sind? Verstehen wir überhaupt die Faktoren, die uns die Dinge tun lassen, die wir tun?
Wenn wir nachts schlafen - wenn wir quer über ein Feld gehen und einen Baum voller schlafender Vögel sehen - wenn wir unseren Freunden etwas vorflunkern - wenn wir lieben -, was für chirurgischen Eingriffen wird dabei unsere Seele unterzogen - welche Schäden und Heilungen und Schocks erfahren wir, die uns immer ein Rätsel bleiben werden? Was für Filme entstehen dabei, die niemals gezeigt werden?
Bleiben wir fair. Etwas geschah in Europa. Genauer gesagt, ich lernte dort jemanden kennen - Stephanie - jetzt habe ich ihren Namen genannt - und eine Zeitlang vergaß ich Anna-Louise.
Aber natürlich erinnere ich mich ihrer jetzt wieder.
Und es stimmt, meine Beziehung zu Anna-Louise ist anders geworden. Ich habe nicht mehr denselben Drang wie früher, aber das ist eine Erleichterung. Erstens war unsere Liebe nie in der Art von Bierreklamen. Ich war häufig deprimiert, weil unser Verhältnis nicht etwas mehr einem Reklamespot für Bier glich. Du weißt schon: Autos mit Allradantrieb, aus denen Wahnsinnshits fetzen, während zwanzig Blondinen vom Planet Beach Babys am Spieß rösten und damit drohen, sie seien in wenigen Minuten gar. Du gibst dich mit dem zufrieden, was du bekommst.
Wenn Anna-Louise und ich zuviel Wind darum machen, daß wir uns mögen, erinnert uns das bloß daran, daß wir nicht so leidenschaftlich sind, wie wir eigentlich sein sollten. Wir kommen uns kitschig dabei vor. Das Beste ist, über solche Dinge nicht nachzudenken.
Ich mag Anna-Louise. Wir fühlen uns unbefangen, wenn wir zusammen sind, und ich hoffe, das reicht. Ich bin schon erschöpft, wenn ich nur denke, da müsse mehr sein.
8
»Tyler! Anna-Louise! Die beste aller Lebensmittelketten sei euch geweiht! Hier, sieh dir die mal an.« Anna-Louises Freundin Skye wirft mir eine von den Socken hauende Designer-Sonnenbrille zu, hergestellt von irgendeiner südostasiatischen Archipel-Nation - glänzende Gläser, die abartig nach frischem, rohem Lamm stinken. Skye und meine Freundesclique - Pony, Harmony, Davidson, Leslie, Mei-Lin und Gaia - haben im Mülldepot die Sibirienzelle hinten neben dem Video-Ghetto in Beschlag genommen. Davidson macht einen Schnappschuß mit meiner Sofortbild-Kamera und meinem Film, und die sieben sind in hellem Aufruhr eingefangen, ähnlich wie deutsche Pestizid-Magnaten auf einem
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