Shampoo Planet
vor der Schließung ganz allein noch ein paar Runden geschwommen, als plötzlich der Strom ausfiel und sie in der Mitte des Beckens Wasser tretend verharrte.
»Ich flatterte etwas«, sagte sie. »Zuerst war ich erschrocken, aber dann entspannte ich mich und schwamm unter Wasser mit offenen Augen. Ohne Licht gab es auch keine Orientierung mehr für Schwerkraft. Ein gechlorter Weltraum.«
Das Erlebnis hatte Anna-Louise, na ja, geil gemacht, und ich wurde in ihr Apartment einbestellt. Stunden später, gegen Mitternacht, lagen wir beide selig auf ihrem Futon unter der Daunendecke, ihr Gesicht und ihr Körper ähnelten einer gerade geräumten Karnevalsstätte, unfaßbar unverändert durch den Ausbruch von Leben, der noch vor kurzem aus ihr herausgesprudelt war.
Wir aßen viel zu heißes Mikrowellen-Popcorn und diskutierten, wie wir unser Leben ändern würden, wenn wir eine Billion Dollar im Lotto gewännen. Wir kamen schließlich überein, zehntausend Morgen Land außerhalb von Lancaster zu kaufen, ein Bewässerungssystem aus Flüssen und Bächen anzulegen und einen Wald ganz für uns allein wachsen zu lassen, und der ganze Wald wäre umgeben von einer Quarzmauer so hoch wie die Filmleinwand in Autokinos.
Innerhalb dieser ummauerten Prärie würden wir dann Millionen Samen sähen und Setzlinge pflanzen - zukünftige Haine und Dickichte, wo zuvor nur Einöde war. In den ersten Jahren würde uns der Wald nur bis zu den Schultern reichen, aber das Grün würde uns bald überwuchern, sich verdichten und Vögeln, Insekten und kleinen Tieren mit rasch entstehenden Winkeln und dunklen Nischen ein Zuhause bieten. Und zusammen mit Anna-Louise und mir würde auch der Wald altern, bis wir beide schließlich hundert Jahre später zusammen unter einer Weide am Saint-Anna-See lägen, während das zaghafte Gequake von Entenküken aus den danebenliegenden Stauden brauner Iris und kraftvolle Wogen Wind aus einem schützenden Wall aus Pappeln herüberdrangen. Die Sonne würde auf unsere gerunzelte alte Haut und unsere Gebeine herunterscheinen, eine Windböe würde unsere Haut fortwehen, und wir würden als zwei kleine Schmetterlinge daraus hervorgehen und uns taumelnd gegenseitig umkreisen, würden hinauf in die Luft fliegen, höher und höher, über unseren Garten und das Baumfort, hoch hinaus über die Quarzmauern, die wir gebaut hatten, und das, was die Außenwelt bis dahin geworden sein mag.
Und deshalb besuchen Anna-Louise und ich übernächstes Wochenende British Columbia. Als wir mit unserer Wald-Traumwelt durch waren, erwähnte sie beiläufig, sie habe auf der Landkarte des südlichen British Columbia einen Wald namens Glen Anna gesehen. Eine Billion Dollar liegen doch noch ziemlich weit entfernt vor uns, und uns wurde klar, daß wir unbedingt schon früher einen Wald sehen mußten.
Anna-Louise bleibt im Giftmülldepot, während ich aufbreche, um Dan zu besuchen. Ich trete aus der Glastür ( Willkommen: Still deinen Hunger) hinaus in das anregende Ich-kann-deinen-Atem-sehen-Wetter dieses kalten Oktobers; unter die zum Leben erwachenden Straßenlichter und das aufleuchtende Plexiglas-Rücklicht, das sich über den trügerischen Bodenrillen zu kräuseln scheint, hervorgerufen durch die abkühlende Erde. Ein einsamer Wagen tuckert die Route 666 hinunter, und die Stoßzeiten von den Anlagen sind bloß noch Erinnerung.
Die Jagdzeit hat hier in Lancaster begonnen. Während ich die Route 666 hinunter zu Dan fahre, kann ich beobachten, daß jeder hormongeladene Idiot ohne Lebensinhalt und mit einer Allradmaschine in dieser Zeitzone in die Bioregionen aufbricht, ausdrücklich wegen des Privilegs, sich nicht zu rasieren, um es mit Nutten untersten Niveaus zu treiben, in schalen Hotelzimmern Scotch zu trinken, bescheuerte neonfarbene Schlapphüte aufzusetzen, um dann aufs Geratewohl auf die wenigen verbliebenen Naturfragmente zu ballern, die das zweifelhafte Glück hatten, sowohl die Anlagen als auch die Bande verhinderter Kopfjäger im letzten Jahr zu überleben. Tiere werden von Hexenmeistern in deren unsichtbare Hexenkessel geschleudert. Ich denke, uns wird ganz einfach die Natur ausgehen, noch bevor wir sie zerstören können.
9
Eines Nachmittags vor mehreren Jahren im PimnVs Offramp Diner fand mein Stiefvater Dan kein Kleenex und schneuzte sich deshalb in eine Dollarnote. Innerhalb eines Monats war er pleite. Bis heute macht er eher das Schneuzen für seinen Sturz verantwortlich als beispielsweise seine
Weitere Kostenlose Bücher