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Shampoo Planet

Shampoo Planet

Titel: Shampoo Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Sommer-Eurofreundschaften, Freundschaften, die auf der Basis »gegenseitig garantierter Verfügbarkeit« ablaufen (Kiwis Einschätzung), Myriaden von sich ergebenden Beziehungen zwischen Susans und Petras und Volkers und Clives und Mitsuos und Julios und Daves, die sich in Europas überfüllten Zugabteilen und verwahrlosten, immer ein bißchen nach Sperma und Milchkaffee riechenden Jugendherbergen kennenlernen.
    Wie die meisten »Eurailers« reisten Kiwi und ich eine Zeitlang zusammen, gingen einander auf die Nerven, trennten uns, tauschten Währungen und taten uns eine Woche oder so später wieder mit neuen Geschichten über Neuerlebtes zusammen. Ich weiß noch, wie Kiwi mir mit strahlendem Gesicht aus einem Fenster der zweiten Klasse, als der Zug in den Genfer Bahnhof einlief, zurief: »Ich war jetzt dreimal in Barcelona.«
     
    Weitere Eurohäppchen, weitere Erlebnisse: Der erregende, nebulöse Hauch von potentiell vorhandenem Tod durch Bombenexplosion, während ich bereits zum 99. Mal dieselbe »International Herald Tribüne« auf dem Mailänder Bahnhof lese; Wohlstand (so viel Wohlstand!); die schaurige Pralinenschachtel-Melancholie der von den Bomben des Zweiten Weltkriegs verschonten Städte wie Zürich und Nancy; die Silhouetten von Atomkraftwerken am Horizont; Vierergruppen dunkler Fabrikarbeiter mit Walroßschnauzbart, wie Sardinen in winzige Nähmaschinenautos gezwängt, jeder einzelne Arbeiter elf Zigaretten gleichzeitig qualmend, jeder jeden anderen anbrüllend und dabei ziellos durch die kohlenstofferstickten, zu Tode deprimierenden tschechoslowakischen Vororte irrend, während ihre Frauen unbeachtet am Straßenrand stehen wie die Indianerfiguren vor einem Tabakladen. Alles wie von einem anderen Planeten; zwar mit einem gewissen Charme, aber, wie ich Anna-Louise auf einer Postkarte schrieb:
     
    Europa ermangelt es an Möglichkeiten für eine Metamorphose (intellektueller Eierkopf/). Europa ist wie ein hübsches Baby mit absolut unverwechselbaren Gesichtszügen, das aber nicht nur schön, sondern auch deprimierend ist, weil man genau weiß, wie das Kind mit zwanzig, vierzig und neunundneunzig aussehen wird. Kein Mysterium.
     
    Auf dieselbe Postkarte gequetscht:
     
    Ich glaube, ich bin hier einer Überdosis Geschichte ausgesetzt. Ich weiß nie, ob das Tragen von ausgeflippten Klamotten in der Kirche eine »Sünde« ist. Etwas zu viele Feuerwerkssalven zu Rolling-Stones-Musik in Monaco. Etwas zu viele Son-et-Lumiere-Vorstellungen. Zu viele Dome und Raffinerien und Leute, die zu Göttern beten, von denen ich noch nie etwas gehört habe, geschweige denn verstehe. Sich eingepfercht zu fühlen ist in den ersten Tagen ganz lustig, aber dann hast du genug davon, aber hier ist man immer eingezwängt. Eklig. Was ich mir wünsche, ist, nach Hause zu kommen, in ein Glashaus an der Küste am Rande des Planeten, beispielsweise auf der Olympischen Halbinsel, und nur aufs Wasser zu schauen und nichts, gar nichts weiter.
     
    Ich zeigte Kiwi die Karte, ehe ich sie absandte. Er war mit mir einer Meinung; auch er säße am liebsten in einem Glashaus an der Südspitze Neuseelands und nichts zwischen ihm und der Antarktis.
    »Antarktis?« fragte ich. »Wußtest du, daß die Antarktis in Wirklichkeit nicht aus einem, sondern aus zwei Kontinenten besteht, die durch eine Eisbrücke miteinander verbunden sind?«
    »Wirklich? So wie geschiedene Eltern?« »Genau.«
     
    Eine Frage: Warum bin ich überhaupt nach Europa gefahren? Nun, zunächst einmal ist es ein Wunder, daß ich überhaupt dort ankam, wenn ich die Mauer aus Gleichgültigkeit in Betracht ziehe, auf die ich stieß, als ich die Idee meiner Familie und meinen Freunden unterbreitete. (»Europa? Das kapier' ich nicht«, entgegnete mir Harmony. »Wir haben doch ein einwandfreies Europa hier bei EPCOT in Florida. Ist dir wohl nicht gut genug, was?«)
    Aber ich hatte meine Gründe. Ich mußte daran denken, wie ich die nachgemachten Uhren verscherbelt und dabei überlegt hatte, wie wohl das Land sei, in dem die echten Uhren hergestellt wurden. Und ich wollte sehen, was das für eine Welt war, die meine Vorfahren so unerträglich fanden, daß sie sie unbedingt verlassen mußten. Und außerdem hatte ich gehört, daß man in Europa Wahnsinnspartys feierte.
    Alles in allem kann ich mich erinnern, wie modern und flott mir Europa immer auf den Fotos vorgekommen war: Lebendig klirrende, geometrische Gebäude, die wie Kristalle aus der öden, steinernen Düsternis

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