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Shampoo Planet

Shampoo Planet

Titel: Shampoo Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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von Antwerpen. Verbunden mit den Gedärmen dieses Kraftwerks, verlief unterirdisch ein langes schwarzes Rohr über viele, viele Meilen, unter Häusern und Straßen und Schulen und Cafes und Wäldern, das am Ende seine trockene, warme Luft durch die kiemenartigen Jalousien dieses Hauses über das belgische Land hustete - über Gemüse, Milchkühe und über die Gräber toter Europäer von früher. Nie zuvor habe ich eine Landschaft gesehen, in der menschliche Wesen so bedeutungslos schienen.
    Kiwi fragte, ob ich eine Grippe in mir aufsteigen fühlte, und ich sagte nein.
    Marks Riesen hatten auch in Europa die Schwimmer ihrer Angelschnüre zurückgelassen. Genau in dem Moment wußte ich, daß ich wieder nach Hause wollte, aber wie es das Schicksal so wollte, noch bevor ich imstande war, neue Pläne zu schmieden, kam ich in Paris an.
     

22
     
    Es war Mitte Juli, und über die Pariser Boulevards fluteten Ströme von Touristen und Parisern, die es ganz offensichtlich ebensowenig erwarten konnten, ihren Augusturlaub anzutreten wie jemand, der ganz dringend pinkeln muß. Die Sonne schien heiß und brannte salonfähig über den butterkeksgelben Gebäuden, den Zigeunern und Euroyuppies, den Auspuffdämpfen und kümmerlichen Krankenwagensirenen. Überall waren Algerier und Araber, ebenso wie eine schier unerschöpfliche Lieferung amerikanischer und kanadischer Touristen in bunt aufeinander abgestimmter Reisekluft, ausnahmslos mit dem Hauch irgendeiner Funktion versehen: Polohemden in After-Dinner-Minzgrün, auf denen sich eingearbeitete Reisepaßtaschen abzeichneten, Schuhe, von denen man die Zeit ablesen konnte, Frauen mit glänzenden, helmartigen Dauerwellen unter zweifellos vielzähligen Haarsprayschichten, Männer mit Ken-Puppen-Haarschnitten und Kassetten, denen sie per Walkman, zur Aufwertung des Egos, während ihres Rundgangs im Louvre lauschten.
    Kiwi und ich saßen in einem eingezäunten Straßencafe auf der »Avenue Aimez-Moi« mitten in einem Viertel am linken Seineufer und nippten an winzigen Espressotassen. Kiwi war nörgelig, als wir so dem an uns vorbeiflanierenden Leben zusahen, weil man ihm zuvor auf der Avenue Foch seinen Reisepaß geklaut hatte und er die Botschaft Neuseelands aufsuchen mußte, um »wegen eines Ersatzes zu Kreuze zu kriechen« .
    Inzwischen hielt ein Glaserei-Transporter an der roten Straßenampel direkt vor uns, wobei die verspiegelten Seiten die Stadt vervielfältigten, und wir beide kamen nicht umhin, spontan und knallhart mit dem vollständigen Anblick unserer selbst konfrontiert zu werden: Sonnenverbrannt und abgerissen, sehnig und muskulös durch sechs Wochen langes Städteablaufen in Europa, nahe daran, aus den ausgefransten Säumen unserer abgetragenen, unregelmäßig in quer über den Kontinent verstreuten Bidets gewaschenen Klamotten zu platzen.
    Wir waren schockiert über unser Aussehen; und das ließ Kiwi plötzlich aktiv werden. »Hey, Kerl. Genießee-vuu den Friedhof«, sagte er und sprang mit einem Satz über den Zaun. »Ich hau ab. Bis später draußen bei der Quebec-Delegation. Um neun.« Dann sah ich ihm nach, wie er die Straße hinuntertrapste, sein Vier-Nahrungsgruppen-gepäppelter Körper weitaus entwickelter, weitaus gesünder und unbefangener als der von Europäern allgemein, wie dies so häufig bei Leuten aus der Neuen Welt der Fall ist.
    Daraufhin trank ich meinen schmerzhaft süßen Espresso, spürte, wie sich meine Zähne zersetzten, leckte mir die Lippen, schaute auf die Uhr, schnürte meinen Rucksack, zahlte die Rechnung, sah prüfend in die Sonne und stieg durch einen Metroeingang hinunter in die Erde, umhüllte mich mit dem ihr eigenen verdorben-fäkalen Geruch, dem Singsang der Bettler und dem Dröhnen der Technologie, und fuhr mit leicht schmerzendem Kopf hinaus zum Friedhof Pere-La-chaise, um die Blume für Daisy zu holen.
     
    Vor Jahren, als ich viel jünger war, hatte ich einen Freund namens Colby, der an fehlentwickelten Proteinen, an Krebs starb, und sein Körper wurde auf einem Friedhof neben einem Haferfeld außerhalb von Lancaster beerdigt. Im Sommer suche ich immer noch Colbys Grab auf, zumal er der einzige verstorbene Mensch ist, den ich kannte, und ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl sein mag, wenn man tot ist - nicht zu atmen, mit abgeschaltetem Verstand-, einfach nichtexistent. Aber ich schaffe es doch nie, mir dies vorzustellen. Das Leben behält stets die Oberhand. Ich gehe aus diesen Anfällen immer triumphierend und überschäumend

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