Shampoo Planet
Anker, und ich bin von den Äußerlichkeiten der Identität befreit. Ich möchte mehr unsichtbare Linien überqueren: Zeitzonen, den 49. Breitengrad, den Äquator, die Wasserscheide. Mir fällt ein, daß ich von einem F-16 Kampfflugzeug gelesen habe, das aufgrund eines fehlerhaften elektronischen Signals in der Computer-Software mit dem Bauch nach oben den Äquator überquerte; ich möchte die Geheimnisse der Software kennen, die tief in meine Zellen eincodiert sind. Ich betrachte Stephanies im Wind flatterndes Hermes-Tuch und fühle mich unberechenbar und schockierend frisch.
Stephanie und ich verbrachten die letzte Nacht in einem billigen Hotel in Port Angeles, aber ich war viel zu aufgeregt, um zu schlafen. Mir war immer noch etwas schwindelig vom Packen und Fortgehen aus Lancaster am frühen Morgen. Und ich war erregt beim Gedanken an meinen Plan, meinen Geburtsort aufzusuchen - das alte Kommunen-Haus auf den Gulf Islands von British Columbia - und anschließend meinen biologischen Vater Neil in Nordkalifornien zu besuchen, bevor wir dann weiter nach Los Angeles fahren würden, um ein neues Leben zu beginnen.
Es ist, als stecke das Leben voller zauberhafter Überraschungen.
In Kanada sind die Münzen goldfarben und tragen das Bild eines Seetauchers. Stephanie benutzt sie dazu, Milchschokolade, Mineralwasser in Flaschen und eine Country & Western Kassette in einem Laden an der Straße zu kaufen. Als wir später die Minifähre zur Insel Galiano - meinem Geburtsort -nehmen, lassen sich weißköpf ige Seeadler träge im Aufwind treiben und erinnern mich an eine Masse angehender Teenager in der Video-Arkade. Neben der Fähre landet ein Schwan. Ein Flug Kanadagänse patrouilliert in einiger Entfernung durch die Gewässer. So viele Vögel! Und das Wasser riecht salzig und nahrhaft und grün.
Nach unserer Ankunft auf der Insel Galiano rumpeln wir eine Reihe steiniger Straßen hinunter, vorbei an von Grünzeug überwucherten Gräben, verwitterten, alten Hinweisschildern, bis wir zu dem Pfad gelangen, an den ich mich erinnere, an diesen fast unauffindbaren Pfad, und ich stelle den Wagen ab.
Stephanie ergreift meine Hand, und ich führe sie durch Brombeer- und Himbeergebüsch, dessen Äste so weit vorstehen, daß sie wie die Finger eines Bettlers übers Gesicht streichen. Wir überqueren einen Sumpf voller Stinkender Zehrwurz und gehen unter einem dunklen, trockenen, dämpfenden Baldachin aus Hemlocktannen weiter. Wir kommen zu einer kleinen, von einem Sonnenstrahl erhellten Lichtung, auf der ein zwergenhafter Steinsockel von dem, was einst ein Kamin war, übriggeblieben ist. Er ist umgeben von einem kleinen, moosüberzogenen Viereck voller Weidenröschen, Leberblümchen, Heidelbeeren, Farnkräutern und magischen, halluzinogenen Pilzen. Es gibt so gut wie keine anderen Spuren von menschlichen Behausungen, die hier einst gestanden haben. Alles Metall ist verrostet, alles Holz verrottet. Der Garten ist darüber gewachsen, und die jungen Bäume sind doppelt so hoch wie ich.
»Hier bist du also geboren?« fragt Stephanie.
Ich nicke als Antwort.
Stephanie lächelt und sagt zu mir: »Dies ist ein guter Platz, um auf die Welt zu kommen.«
Ich stimme ihr zu - es ist ein schöner Ort. Ich berühre den Ast einer Hemlocktanne mit meiner Stirn und kröne mich zum König der Bäume.
42
Am anderen Tag.
Wir drehen den dampfenden Busladungen voller Leute, die wir auf dem Coast Highway Richtung Süden, runter nach Oregon, munter überholen, eine lange Nase. Die Stereoanlage des Comfortmobiles dröhnt und läuft sich heiß unter dem Technosound schottischer Teenager mit schlechten Zähnen und dem Bedürfnis zu singen.
Auf der linken Seite sehen wir einen Güterzug, auf dessen Lokomotive ein Geweih genagelt ist und der wie eine Würstchenkette aufgereihte Güterwagen hinter sich herzieht, vollgeladen mit Sauerstofftanks und Hondas, deren Haut die Farbe von geschmolzenem Kirscheis hat. Auf anderen Güterwagen sind andere Aufschriften zu sehen: S chwefelschmelz, M aissirup und H ydrokerosin . Stephanie und ich stellen unsere eigene Liste an Chemikalien zusammen, die man braucht, um ein wahrhaft moderner Mensch zu sein: »Tetrazyklin.«
»Steroide.«
»FCKW.«
»Kohlenw asserstoff natriumoxyd.«
»Kohlenwasserstoffoxyd.«
»Silikon.«
»MTV.«
Stephanie schießt sich mit einer Platzpatrone in den Mund. Auf der rechten Seite bietet sich uns jetzt ein überwältigender Ausblick über den Ozean. Ich reiße das
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