Shampoo Planet

für den Winter reingeholt. Dann hat Norman seine Notdurft in der Kiste mit der Streu verrichtet und mußte zur Belohnung gekrault werden. All diese Ablenkungen.
    Meine Stimmung hat sich jetzt geändert. Und die Sonne hat sich hinter die Wolken verzogen. Ich bin in einer Gemütsverfassung, die mich manchmal befällt... wie wenn ein guter Freund in der Nähe ist, den ich anrufen sollte. Wenn ich diesen Freund bloß erreichen und mit ihm sprechen könnte, dann wäre alles gut. Das Dilemma besteht natürlich darin, daß ich einfach nicht weiß, wer dieser Freund ist. Im Grunde meines Herzens weiß ich aber, daß diese Stimmung bloß ich bin, die ich mich von meinem wahren inneren Ich abgeschnitten fühle.
    Hör mir noch zu, Tyler - meinem Muttertier-Geplapper. Himmel, ich habe jetzt schon so lange auf meinem inneren Telefon Nummern gewählt, daß ich wahrscheinlich, sollte je auf der anderen Seite der Hörer abgenommen werden, völlig baff dastünde, ohne mich daran zu erinnern, wen ich angerufen habe. Hast du so etwas schon mal erlebt?
    Grrrr. In jedem von uns liegen so viele Geheimnisse verborgen. Soviel Finsternis. Vielleicht hast du dies inzwischen auch bemerkt. Aus der Adresse, die du Daisy durchgegeben hast, entnehme ich, daß du in West Hollywood bist. Soweit ich mich an die alten VW-Bus-Tage erinnern kann, war West Hollywood hübsch, aber moralisch nicht gerade Arkadien. Möglicherweise hast du die Schattenseite der menschlichen Natur näher kennengelernt, seitdem du dort lebst.
    Ach, meine eigene Jugend ... Tyler, allzu gerne würde ich glauben, daß »mein Spaziergang um den Häuserblock«, die letzten paar Jahre, nicht völlig für die Katz' gewesen sind. An dieser Stelle will ich dir von etwas erzählen, was mir aufgefallen ist und dir vielleicht helfen wird, nicht soviel Zeit zu vergeuden.
    Was ich dir erzählen will, Sohn aller Söhne, ist folgendes: In Kürze, falls nicht schon geschehen, wirst du die tiefe Schwärze in uns allen entdecken. Du wirst dunkle Geheimnisse haben und du wirst dunkle Taten begehen. Du wirst geschockt sein über die Gefühllosigkeit und die Übertretungen, derer du fähig bist, ohne sie jedoch verhindern zu können. Und wenn du dann dreißig wirst, werden alle deine Freunde ebenfalls ein dunkles Geheimnis zu verbergen suchen, aber es werden Jahre vergehen, ehe du genau erfährst, welches. Zu der Zeit wird das Leben sein wie Frisbee-Werfen auf dem Friedhof; das meiste Vergnügen im Umgang mit deinen Freunden wird entstehen aus dem Kontrast zwischen deiner funkelnden Jugend und der Schwärze, die du zu deinen Füßen weißt.
    Später, wenn du mein Alter erreichst, wirst du langsam mit ansehen müssen, wie deine Freunde sterben, ihr Gedächtnis verlieren und wie ihre Haut runzlig und welk wird. Du wirst sehen, wie sich diese dunklen Geheimnisse bei deinen Freunden bemerkbar machen - über Verstand und Körper und über die Geschichten, die sie dir erzählen - Harmony, Gaia, Mei-Lin, Davidson und die übrigen -, und zwar um halb vier Uhr morgens, während du Jod auf ihre Verletzungen reibst, den Notruf wählst, um Tetanusspritzen vorbereiten zu lassen, und zuhörst, wie sie weinen. Zur Belohnung für all das - für die Verwandlung ihrer einst jungen Herzen in Teerklumpen -wirst du deine Freunde nur noch mehr lieben, obwohl sie dir das Universum noch leerer und fürchterlicher vor Augen geführt haben -, und auch sie werden dich noch mehr lieben. Null-Bilanz (ein knallharter Begriff aus dem KittyWhip-Handbuch).
    Unsere Leistungen mögen uns interessant machen, Tyler, aber unsere Dunkelheit macht uns liebenswert. Du wirst dunkle Geheimnisse in dir tragen, Tyler, und ich werde dich auch weiterhin lieben. Dan hat seine dunklen Geheimnisse (na ja, bei ihm kann man sie wohl kaum Geheimnisse nennen, was?), und ich liebe ihn immer noch auf meine Art. Und: ja, Tyler, auch ich habe meine dunklen Geheimnisse. Und ich hoffe, du wirst mich weiterhin lieben. Schönheit und Traurigkeit sind eng miteinander verwoben; sogar Frankenstein wird einsam. Tyler, du mußt Dan einfach nur vergeben. Wenn du das tust, kommst du mir noch zuvor, aber wir haben in puncto Vergebung keine andere Wahl, als uns heranzuarbeiten, andernfalls sind wir einfach Tiere. Unverständige Tiere. Und das geht über das Erträgliche hinaus. Gott mag dich nicht so sehr dafür, daß du zu Hause bleibst und nichts tust, als vielmehr dafür, daß du hinausgehst und dich vielleicht in ein paar kleine Schwierigkeiten verstrickst.