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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schimmer. Ich trat dicht an ihn heran. Wir umarmten uns.
    »Du sieht so glücklich aus«, sagte ich.
    »Ich bin glücklich«, erwiderte er, »weil du mich liebst.«
    Wir waren eine kleine Gruppe, die den Konzertsaal verließ. Das Gewitter hatte nachgelassen, der Aprilwind wehte. Es regnete nur noch schwach. Zwischen den Wolken glitt die Mondsichel wie eine funkelnde Klinge. Lorent Szabo dehnte seine kräftigen Lungen, atmete tief die Nachtluft ein.
    »Es riecht nach Meer«, meinte er.
    »Ja, der Wind kommt vom Osten«, sagte Castaldi.
    Wir gingen auf die Taxis zu, als wir in der Straße eine Gruppe von Menschen im Regen stehen sahen. Ein Polizeiwagen war da, mit Blaulicht; dahinter standen einige Wagen mit blinkenden Lichtern.
    »Ein Unfall?«, fragte eine Journalistin.
    Mike hielt meine Hand.
    »Hoffentlich nichts Schlimmes.«
    Zwei Polizisten gingen an uns vorbei. Einer sprach in sein Handy.
    »Möchte wissen«, hörte ich ihn sagen, »was das Tier hier zu suchen hatte! Ein Wolf, mitten in Vancouver!«
    »Wahrscheinlich das Gewitter«, knurrte sein Kollege.
    Mein Nacken erschauerte. Ich ließ Mikes Hand los, lief die Stufen hinunter, über die Straße. Ich zwängte mich durch die neugierige Menge, drückte mit der Hand zwei Männer auseinander, entschuldigte mich, drängte mich in die vorderste Reihe. Ein großes Tier, nass und blutend, lag halb unter den Rädern eines Wagens.
    »Lela«, flüsterte ich.
    Die Wölfin hob leicht den Kopf, bewegte den Schwanz.
    »Vorsicht, Lady!«, warnte mich ein Polizist. »Gehen Sie nicht zu nahe ran!«
    Ich hörte ihn kaum. Ich sah nur Lela. Sie lag auf der Flanke, die Augen noch offen, den Kopf in einer Pfütze. Ihre Hinterbeine und ein Teil ihres Rückens waren nur noch eine blutige Masse. Ich fiel neben ihr auf die Knie, hörte die Menge erschrocken murmeln.
    »Sind Sie verrückt?«, rief ein Polizist.
    Ich hob mein Gesicht zu ihm empor.
    »Weg da!«, zischte ich. Mein unerwarteter Wutausbruch verblüffte ihn derart, dass er zurücktrat. Ich kauerte mich neben die Wölfin, legte mein Gesicht an ihren Kopf, schob beide Arme um das nasse Fell. Heftige Schauer durchliefen ihren Körper und ich erinnerte mich an einen anderen Autounfall, an einen sterbenden Menschen und eine klare Stimme sagte mir ins Ohr: »Ich werde immer bei dir sein. Dich erst verlassen, wenn du mich nicht mehr brauchst.« Leise schluchzend drückte ich mein Gesicht an den heftig pochenden Hals.
    »Ich bin bei dir, Lela. Stirb jetzt, stirb schnell! Du sollst keine Schmerzen mehr haben …«
    »Der Tierarzt?«, rief eine Frau, mit Mitleid in der Stimme.
    »Lohnt sich nicht, der Wolf ist zerquetscht«, sagte ein ungeduldiger Mann, offenbar der Fahrer. »Er lief mir direkt vor die Räder.«
    »Ich erledige das«, sagte ein Polizist. Ich hörte das Klicken eines Abzugs und hob das Gesicht zu ihm empor.
    »Es wird nicht nötig sein«, sagte ich ruhig.
    Die Wölfin öffnete das Maul. Ihre Zunge kam hervor und leckte meine Hand: Ich sah die blutige Spur auf meiner Haut. Lelas Geist stockte einen Augenblick lang, hing an ihrem flackernden Atem. Dann ein heftiger Ruck, ein Schauder, als wäre eine starke Saite gerissen. Ihr Kopf wurde schwer auf meinem Arm und ich wusste, dass sie gestorben war. Ihr Maul blieb klaffend offen stehen, ihre Augen blickten glasig. Sie entfernte sich von mir, verschwand jeden Augenblick weiter wie in sich selbst, wie in den Grund ihrer selbst. Sie ging fort: Ich brauchte sie ja nicht mehr. Meine tastende Hand fand die Rose neben mir auf dem Asphalt und legte sie ihr dicht an den regennassen, blutverklebten Hals.
    »Für dich, Lela …«
    Die Mondsichel verschwand. Wieder prasselte Regen auf den Asphalt. Wagen hupten, Schirme wurden aufgespannt, die Leute zerstreuten sich.
    »Los, weg mit dem Tier«, hörte ich einen Polizisten sagen.
    Doch was ging mich das an? Ich erhob mich mit steifen Knien, sah Mike dicht neben mir stehen. Unsere Blicke trafen sich. Er legte beide Arme um mich.
    »Komm!«, sagte er leise und zog mich fort.

29. KAPITEL
    »Liebe Shana«, schrieb Stanley Egger. »Da ich deine Adresse nicht kenne, schicke ich diesen Brief an die Musikhochschule und hoffe, dass man ihn an dich weiterleitet. Vor einigen Tagen sah ich zufällig im Fernsehen die Übertragung deines Konzertes. Wir alle gratulieren dir und sind stolz auf deinen Erfolg.
    Doch ich möchte dir heute etwas anderes mitteilen: Dein Vater hat Beaver Creek verlassen. Er lebt jetzt in Collins, in einer Heilanstalt für

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