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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Zuhörer in den Saal strömten und die Orchestermitglieder ihre Instrumente stimmten.
    »Wie war es für dich?«, fragte ich leise. »Als wir uns zum ersten Mal sahen? Weißt du das noch?«
    »Damals?«, sagte er ebenso leise. »Mir war, als ob ich dich schon lange kannte.«
    »Mir ging es ebenso.«
    »Später hast du mir von deiner Wölfin erzählt. Da hatte ich noch stärker das Gefühl, dass wir zusammengehörten.«
    »Wie oft haben wir sie gesucht!«, seufzte ich. »Aber sie zeigte sich nie, kein einziges Mal …«
    »Vielleicht hatte sie Angst vor mir?«
    »Ich denke, sie hat ein Rudel gefunden, mit dem sie gehen konnte. Womöglich hat sie jetzt eigene Welpen?« Ich möchte es hoffen, setzte ich traumverloren hinzu. »Sie war immer bei mir, als ich einsam war …«
    »Du wirst nie wieder einsam sein«, sagte Mike, noch leiser.
    Wir standen dicht beieinander. Es war so schön, so ruhig zu sein, ein tiefes, friedliches Gefühl. Ich neigte den Kopf, legte ihn an die Aufschläge seines dunklen Anzugs. Ich hörte Mikes stillen Atem. Seine Hände fassten nach meinen.
    Er flüsterte: »Ohne dich bin ich nur halb.«
    Ich drückte den Kopf fester an seine Brust.
    »Ich auch, Mike. Das ist ein wunderbares Gefühl.«
    Er blinzelte verschmitzt.
    »Lampenfieber?«
    »Entsetzlich!«, stöhnte ich und wir lachten beide.
    Sieben Uhr. Die letzten Zuhörer trafen eilig ein, viele kamen mit Verspätung, denn draußen goss es in Strömen. Wir hörten das Raunen und Füßescharren hinter dem roten Vorhang. Alle Mitglieder des Orchesters saßen still mit ihren Instrumenten in der Hand und den Augen auf das Parkett oder die Noten gerichtet. Wir warteten auf den Dirigenten, machten uns bereit zu spielen. Mike saß in der Gruppe der Streicher, ich jedoch, als Solistin, ganz vorn. Im Saal gingen die Lichter aus, der rote Vorhang glitt beiseite, ließ die hell erleuchtete Bühne sehen. Der Saal, ganz in Rot gehalten, kam mir plötzlich riesengroß vor. Die Zuschauer im Saal husteten, suchten eine bequeme Haltung, dann wurde es ruhig. Die Scheinwerfer schienen mir voll in die Augen. Von den Gesichtern sah ich nur helle rosa Flecken. Ich holte tief Atem. Ich fühlte, wie ich mich löste, mich irgendwie auf besondere Art verdoppelte. Schon trat der Dirigent unter Applaus auf die Bühne. Er nickte mir zu und ich erhob mich. Lorent Szabo war ein voluminöser Mann, der auf der Bühne noch imposanter wirkte. Er hatte einen großen Kopf und wuschelige Locken. Seine Augen, saphirblau und vorstehend, leuchteten im Bühnenlicht. Er wartete, bis völlige Stille eintrat, hob den Dirigentenstab, wandte mir den Blick zu. Ich legte die Geige an, gab ein Zeichen der Zustimmung. Das Konzert begann. Zuerst also das »Capriccio« von Paganini. Alle Augen der Musiker waren auf den Dirigenten gerichtet. Lorent Szabo lächelte einschmeichelnd, aber gebieterisch, formte uns wie Wachs, knetete uns zu einer Einheit. Wir Musiker spürten das; ich spielte, wie er es von mir verlangte, sah meine Musik wie ein Aufleuchten, wie den Flug eines Eisvogels, glitzernd und golden und blau. Jede Bewegung des Dirigenten ordnete die Töne neu an, schwang die Melodie höher und weiter, die Zuhörer erlagen dem Zauber, blieben bis zum letzten Ton in ihrem Bann. Der Beifall klang herzlich, ja nahezu begeistert. Galt er mir? Dem Dirigenten? Einerlei, ich entfloh, tauchte mit rasendem Herzen in die Kulissen ein. Lorent Szabo rief mich zurück, nahm mich bei der Hand, führte mich vor die Musiker. Ich verbeugte mich, mit heißen Wangen. Der Beifall nahm kein Ende. Endlich schloss sich der Vorhang, die Lichter im Saal gingen an. Pause. Die Knie gaben unter mir nach. Ich musste mich setzen.
    Castaldi trat auf mich zu. Ich sah befangen zu ihm empor. Er legte mir kurz die Hand auf die Schulter.
    »Gut. Sehr gut!«
    Mike brachte mir ein Glas Wasser. Er war etwas rot im Gesicht.
    »Du warst großartig. Und noch dazu bei dem Gewitter!«
    Ich blickte ihn fragend an. Er schien überrascht.
    »Hast du nicht gehört, wie es donnerte?«
    Ich schüttelte den Kopf, trank gierig mein Glas aus.
    Nein, ich hatte nichts gehört.

28. KAPITEL
    Die Pause war nur kurz, das Programm ging weiter; jetzt der zweite Teil, der schwierigste. Meine Stirn spannte sich, mein Bauch schien einzusinken und meine Finger wurden steif. Was, wenn ich versagte? Ich war nahe daran, die Nerven zu verlieren. Hilflos blickte ich zu Mike hinüber. Er grinste mir zu und machte kurz das V-Zeichen. Das half. Von einem Herzschlag

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