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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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zum anderen wurde ich ruhiger. Der Vorhang teilte sich, Applaus. Doch es war zuerst Robert Castaldi, der auf die Bühne trat, sich kurz vor dem Publikum verneigte.
    »Meine Damen und Herren«, verkündete er. »Unsere junge Solistin hat mich um eine Ansage gebeten. Shana Reed wird Tschaikowskys Konzert in D-Dur zum Gedenken ihrer Lehrerin Lela Woodland spielen.«
    Das Publikum murmelte voller Sympathie. Dann wurde es still. Lorent Szabo erschien. Seine gewaltige Figur verbarg jetzt teilweise die Zuhörer. Gut so, dachte ich. Und als er den Stab hob, war ich bereit. Die Musik schwoll heran, wie eine Welle rollte sie über mich hinweg. Mein Körper weitete sich grenzenlos. Die unsichtbaren Dinge in mir verbanden sich mit den Klängen, mein Herz gehorchte dem Takt, den der Dirigent mir angab. Die Geige sang und jubelte unter meinen Händen. Ich ließ mich von der Musik tragen, rief sie zurück und holte sie ein, wenn sie meinem Bogen entfloh, um sich wieder mit dem Orchester im Gleichklang zu vereinen. Bald wurde ich selbst ein Teil der Musik, wurde eingewoben in das unsichtbare Gewebe, das ich mit meiner Geige beschwor. Merkwürdige Bilder zogen an meinem inneren Auge vorbei: Ein hochbeiniges dunkles Tier lief über eine Brücke, hinkend im prasselnden Regen. Zuweilen flackerten Blitze auf und das Tier, schwarz wie ein Scherenschnitt, hob sich im grellen Leuchten ab. Auf der Autobahn staute sich der Verkehr, Scheinwerfer an Scheinwerfer, in der Ferne rauschte das aufgewühlte Meer, die Schiffe schaukelten. Das Tier rannte mit geducktem Nacken, den Schwanz eingezogen, zielstrebig unter den blassen Feuerkugeln, die von Wolke zu Wolke sprangen.
    Was hatte das Tier mit mir zu tun? Ich konnte es nicht sagen. Ich spielte. Die lebendige Geige sang, ihre Stimme klang scharf und machtvoll und herrlich, ich spürte ihren Gesang in meinem Schädel, in meinem Blut. Es war die Stimme der Freiheit, der Liebe, des Lebens, das niemals endet. Und plötzlich war es vorbei. Vielleicht war es schon lange vorbei gewesen. Ich senkte den Bogen, blinzelte benommen. Meine Wangen glühten, meine Haut klebte vor Schweiß.
    Das Geräusch meiner Atemzüge mischte sich in andere Geräusche, prasselnd, ohrenbetäubend, die mich von allen Seiten umgaben. Ich blinzelte im grellen Scheinwerferlicht, sah das jubelnde, tosende Publikum. Ganze Menschenreihen standen auf, riefen und klatschten sich die Hände wund. Erst, als Lorent Szabo meine Hand nahm und ich ihm wie eine Schlafwandlerin nach vorne auf die Bühne folgte, wurde mir bewusst, dass dieser Beifall mir galt.
    Hinter den Kulissen umringten mich die Musiker. Auch die Mitschüler waren da. Es herrschte das größte Gedränge, Fernsehkameras richteten ihre Linsen auf mich, es gab Küsse und Umarmungen, von Bekannten und Unbekannten. Ich stand hilflos im Gewühl, schüttelte dutzende von Händen, kniff die Augen unter den Blitzlichtern zusammen. Erleichtert sah ich Robert Castaldi sich einen Weg durch die Menge bahnen. Er legte mir den Arm um die Schultern.
    »Geschafft!«, sagte er. »Ich gratuliere dir.«
    »Ich danke Ihnen«, flüsterte ich rau. »Ihnen und auch Lela.«
    Sein bewegtes Gesicht wurde ernst. Er nickte langsam.
    »Du hast ihr heute Abend eine große Freude gemacht.«
    Ich umarmte ihn wortlos. Der Augenblick der Ergriffenheit war vorbei. Der alte Herr straffte sich. Sein Ausdruck wurde wieder heiter.
    »Mach dich nicht nur auf Lob gefasst, junge Dame! Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an. Da sind einige Unarten, die ich dir noch abgewöhnen muss.«
    Ich lachte, wobei ich mich völlig ausgepumpt fühlte. Castaldi zwinkerte mir zu.
    »Hast du Hunger? Das gehört dazu. Die Symphonie der knurrenden Mägen – die Schlussakkorde eines jeden Konzerts! Mach dich schön, Shana: Jetzt geht es zum Galadiner. Pressevertreter werden auch da sein. Du wirst gleich sehen, was für dumme Fragen sie stellen!«
    Auf der Bühne hatte man mir Blumensträuße überreicht. Jemand hatte sie mir abgenommen, ich war froh, dass ich sie los war, damit ich die Geige in ihren Kasten legen konnte. In der Garderobe zog ich mich um: einen schwarzen Hosenanzug, eine weiße Hemdbluse – fertig. Keine Rüschen oder Schleifen oder Ähnliches. Es war nicht mein Stil. Ich sah die Regentropfen an den Scheiben und zog meinen Trench an.
    Als ich aus der Garderobe kam, wartete Mike auf mich. Er lächelte mir zu, hielt mir eine einzige Rose entgegen. Sie war wunderschön, von einem tiefen Gelb mit einem orangeroten

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