Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
ich Sie nicht enttäuschen werde.«
    »Das wird sich ja herausstellen.« Er zwinkerte mir zu.
    »Übrigens habe ich schon einen indianischen Schüler. Er heißt Mike Eagle Wing und entstammt dem Volk der Cree. Er ist ein sehr guter Schüler, ein bisschen vorlaut, aber das gehört heute dazu.«
    Ich hörte mich atmen. Die Zeit stand still. Unruhe und Schmerzen verschwanden aus meinem Leben wie Regentropfen in einem Fluss. Vielleicht hatte ich hier etwas gefunden, das dem ähnelte, was ich ersehnte. Etwas Neues wurde geboren: die Gewissheit, dass etwas in mir steckte, was lebendig war und geweckt werden konnte.
    Und mein Vater, dachte ich? Er zerstörte alles, was er zerstören konnte, und am brutalsten zerstörte er sich selbst. Ich empfand für ihn keinen Zorn mehr, nur Schmerz. Er wusste nichts Besseres, als durch die Welt zu gehen wie ein Schlafwandler. Ich hoffte aus tiefster Seele, dass er stark genug war, um sich eines Tages selbst zu heilen. Aber ich konnte ihm nicht helfen. Nicht jetzt. Später vielleicht.
    Castaldi warf einen Blick auf die Uhr; er erhob sich schwungvoll, legte mir die feingliedrige Hand auf die Schulter.
    »So, ich muss gehen. Ich erwarte dich morgen um acht zum Unterricht. Und pass auf, dass du deine Geige nicht im Bus liegen lässt!«

27. KAPITEL
    »Ich habe Angst«, sagte ich zu Mike. »Ich habe die ganze Nacht nur geträumt, dass ich übe. Ich bewegte sogar die Finger im Schlaf. Bist du auch so nervös?« Er lachte leise und verständnisvoll.
    »Ich – ich habe Bauchweh! Zum Glück bin ich nur zweiter Violinist.«
    »Ich bin Solistin, das macht mich krank!«
    »Ertrag es mit Fassung!Wie schön du bist«, setzte er zärtlich hinzu.
    Ich wurde etwas rot.
    »Das Kleid ist aus dem Secondhandshop.«
    »Das macht doch nichts. Du siehst toll aus.«
    Wir waren gerade aus der Garderobe gekommen. Ich sah mich im Spiegel des Hinterbühnenraumes und kam mir wie eine Fremde vor. Ich war seit fast zwei Jahren in Vancouver und gab heute Abend mein erstes Konzert: das »Capriccio« von Paganini, danach Tschaikowsky – das Konzert in D-Dur. Das Orchester des kanadischen Rundfunks stand unter der Leitung eines ungarischen Dirigenten, Lorent Szabo. Ich hatte eine Anzahl Proben mit ihm hinter mir, privat war er ein witziger Mensch, als Dirigent ein launischer Tyrann. Als ich Castaldi mein Leid klagte, bekam ich als Trost »Es gibt Schlimmere« zu hören.
    Ich betrachtete mich in meinem ersten Abendkleid. Doch, es stand mir gut. Es war gelb, eine sonnige Farbe, die meiner Haut einen kupfernen Schimmer verlieh. Im Frühjahr war ich achtzehn geworden. Meine Hände hatten jetzt die richtige Größe für die Geige. Ich hatte mir die Augen geschminkt und trug Lippenstift, eine schlichte, rotbräunliche Farbe, die nicht zu aufgedonnert wirkte. Neben mir stand Mike. Sein Smoking war zerknittert, weil er ihn falsch auf den Bügel gehängt hatte. Mike lachte darüber. Ich betrachtete ihn voller Zärtlichkeit. Er war größer als ich. Sein schulterlanges Haar war dick und schwarz, so schwarz, dass es fast violett schimmerte. Seine Haut war mahagonidunkel, er hatte ein wohlgeformtes Gesicht, froh und traurig zugleich, etwas, das nicht zusammenpasste und genau sein Wesen widerspiegelte.
    Der Raum hinter der Bühne war groß und schlecht beleuchtet. Techniker, Bühnenarbeiter, Feuerwehrleute und Fotografen liefen an uns vorbei; ich beachtete sie nicht. Wie war es damals gewesen, vor zwei Jahren, als ich Mike zum ersten Mal sah? Die Bilder flirrten vor meinen Augen wie ein unscharfer Film.
    Ich sah mich in den Unterrichtsraum treten, wo fünfzehn neugierige Augenpaare sich auf mich, die neue Schülerin, richteten. Meine verstörten Augen wanderten zu einem Jungen in Jeans und weißem Hemd.
    Er stand etwas abseits und schaute mich an. Und ich, ich erwiderte seinen Blick, starrte zurück wie gebannt. Die Welt um mich herum verschwand im Nebel und alle Geräusche verklangen. Für einen Augenblick schien ich den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren, während der Junge durch das Klassenzimmer auf mich zuging. Dann schnellte die Welt zurück an ihren Platz. Der Junge stand vor mir und sagte: »Tag, ich bin Mike Eagle Wing. Du bist die neue Schülerin, nicht wahr?«
    »Ich heiße Shana Reed«, sagte ich mit zugeschnürter Kehle. Er streckte die Hand aus. Unsere Finger berührten sich. Wir lächelten uns an. Es war, als ob wir beide schwankten.
    »Woran denkst du?«, fragte mich Mike gerade, zwei Jahre später, wahrend die

Weitere Kostenlose Bücher