Shane - Das erste Jahr (German Edition)
Gertie!“
Mark grinste. „Halt die Klappe! Los, weiter!“
Shane beugte sich wieder über die Buchstaben.
Der Ball rollte unter ihren Füßen. Er rollte nur dahin, wo sie es wollte. Wohin sie ihn dirigierte. Shane grinste. Ein unglaubliches Gefühl von Leichtigkeit umgab sie, hier oben schien alles leicht, leicht und einfach.
Gegenüber vom Zelteingang, oben auf der Loge fingen die Musiker an zu spielen. Zu einem schnellen Trommelrhythmus setzte die Trompete ein, dann eine Geige, zwei, drei.
„Ja, so ist es richtig! Immer im Takt bleiben, immer im Takt bleiben!“, schrie Rotbein quer durch die Manege, und obwohl Shane wusste, dass sie nicht damit gemeint war, setzte sie seine Worte um, sie nahm den Takt auf, sie tippelte nach ihm, sie schloss die Augen und war bald eins mit der Musik.
Als sie ihre Jacke anzog, kam Rotbein auf sie zu. „Das war schon ganz richtig, Fräulein Shane, ganz richtig! Nur nicht aus dem Gleichgewicht kommen!“
„Ja.“, sagte Shane wie immer.
„Auf Wiedersehen!“ Sie drehte sich um.
„Ach, und Shane! Beim nächsten Mal gehst du auf das Seil!“
Shane verließ grinsend das Zirkuszelt.
„Diese Kälte ist ja bald nicht mehr auszuhalten!“ Die Lindenbaum schloss das Fenster, welches sie gerade erst aufgemacht hatte und drehte an der Heizung.
Shane blickte auf den leeren Platz neben sich.
Maria war nicht da.
Das schien auf den ersten Blick keinen Unterschied zu machen, jedenfalls für Shane nicht, sie redeten eh kein Wort miteinander.
Kein einziges scheiß Wort! Maria blickte sie auch nicht an, doch es fehlte ihr, Shane, etwas, wenn sie nicht neben ihr saß.
„Wer bringt Marie die Hausaufgaben?“
„Sie heißt Maria!“, rief Shane giftig.
Die Lehrerin hielt inne. Shane spürte Max’ Blick in ihrem Nacken.
Ein verbliebenes M.
„Ah ja, danke Shane. Also, wer …?“
„Das mach ich, Frau Lindenbaum!“, rief Max eilig.
Hatte er Angst, dass sie ihm zuvor kommen könnte? Shane drehte sich um. Sie schaute in sein pausbäckiges Gesicht. Alte Bumsbacke.
Oh, geliebte alte Bumsbacke!
Max senkte sofort seinen Blick und starrte auf sein Schreibheft. Shane drehte sich wieder um.
Sonst hatte sie immer Maria die Hausaufgaben gebracht, immer! Sie schluckte. Sie blickte auf die H’s in ihrem Heft. Sie spürte, wie ihr brennend das Wasser in die Augen stieg. Nein, nein! Bloß nicht heulen in der Schule! Das wäre das Allerletzte!
Shane konzentrierte sich auf die Buchstaben, versuchte sich abzulenken. Sie musste versuchen, die verhassten Krikeleien zu ihren Freunden zu machen.
H. H. A. A.U.
H…aus.
Shane schluckte erneut.
Am Abend stöhnte sie über ihrem Heft. Gerda k…o…m…m…t
Shane hob den Kopf. Sie schaute auf die Uhr. 22.13.Uhr. Sie seufzte. Dann erhob sie sich, knipste das Licht am Schreibtisch aus und ging schlafen.
„Ja, so ist es gut, Shane. Nur keine Angst!“
Nur keine Angst, der hatte leicht reden! Shane starrte auf das Seil unter ihren Füßen. Es fühlte sich viel härter an, als sie gedacht hatte, steif und starr schnitt schien es in ihre dünnen Schuhsohlen zu schneiden.
Sie hatte nur die Seile zum festhalten, links und rechts gespannt.
„Versuche es gleich ohne festhalten, denk an dein Gleichgewicht!“
Shane schwankte hin und her, doch es ging besser als gedacht. Oder befürchtet.
Sie ging scheinbar mühelos die ersten Schritte. Dann wurde es schwieriger, das Seil senkte sich.
„Ja, das ist die Mitte. Das schaffst du! Versuche, in dich hineinzuhorchen!“
Das sagte er immer, sie solle in sich hineinhorchen! Was sollte das bedeuten? Und wie sollte sie das anstellen?
Das Seil wippte auf und nieder. Shane schrie kurz auf und fiel in die Sägespäne. Zum Kotzen.
„Das war super, Shane!“ Rotbein half ihr hoch. „Nur nicht das Gleichgewicht verlieren!“
„Ja, ja.“ Sie schaute auf ihre Uhr. 15.45.Uhr. Wenn sie jetzt ging, konnte sie noch kurz in die Stadt laufen. „Machen wir Schluss?“
„Wenn du es so willst?“
Shane runzelte die Stirn. Dieser Rotbein war wirklich ein komischer Typ.
Sie klopfte sich die Hosen ab. „Bis nächste Woche!“
Er sah ihr nach.
Shane trat aus dem Zelt und hielt unwillkürlich die Luft an. Es war eiskalt. Sie holte die Handschuhe aus der Manteltasche und streifte sie über. Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal solche Kälte verspürt zu haben.
Shane wagte es nicht, das Stadtmandala aus dem Mantel zu holen, das brauchte sie auch nicht, sie wusste genau wohin sie
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