Shane - Das erste Jahr (German Edition)
und her. In der Innenseite der rechten Wange sah sie einen kleinen Riss. Er sah viel kleiner aus, als es sich anfühlte.
Shane spuckte das Blut aus und schloss den Mund. Sie wischte die Tränen fort.
Was war geschehen?
Sie hatte die Fetzen der Dosen so gut wie es ging, aufgesammelt und dabei vermieden, sie anzublicken.
Nun putzte sie das Waschbecken und sah sich suchend um, kontrollierte, ob sie alle Spuren beseitigt hatte.
Dann sah sie wieder in den Spiegel. Was war geschehen?
Es schloss an der Tür. „Shane, wir sind zurück! Bist du da?“
Sie blickte auf das Mandala. Es spendete ihr Trost. Ihr Magen knurrte, doch zum Mittagessen hatte sie die Mutter angelogen, sie konnte kaum sprechen, wie sollte sie da essen? Die Tür ging auf. „Shane, hast du noch Bauchschmerzen?“
Shane nickte.
Die Mutter kam herein. „Hier.“ Sie stellte eine Tasse neben das Mandala und griff Shane an die Stirn. „Ja, du bist etwas warm. Willst du dich nicht lieber hinlegen? Oder sollen wir lieber zum Arzt fahren?“
Shane schüttelte heftig den Kopf.
„Soll ich bei dir bleiben?“
Shane sah auf ihr Mandala. In ihren Augen sammelte sich das Wasser.
„Ach, meine Kleine!“ Die Mutter umarmte sie, und es gab für Shane kein Halt mehr.
Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie wollte gern hemmungslos weinen, doch sie würde Gertie nicht noch mehr Angst machen können. Sie noch mehr misstrauisch machen. Reiß dich zusammen, Shane!
Die Mutter sah sie an. „Ist es so schlimm? Vielleicht fahren wir doch besser zum Arzt!“
„Nein.“ Schmerz. „Es geht ist schon besser.“
Die Mutter sah sie prüfend an. „Wenn es morgen nicht besser ist, gehen wir zum Arzt!“
Shane nickte.
„Ich bleibe bei dir. Oder komm mit runter, wir schauen einen Film an, und du kannst dich auf die Couch legen, hm?“
Shane schüttelte den Kopf. „Ich geh ins Bett.“
„Na gut.“ Die Mutter deckte sie zu, gab ihr einen Kuss und strich ihr über die Stirn.
„Ich schau nachher nochmal nach dir.“
Shane nickte.
Als die Tür zuging, atmete sie tief ein.
Sie wollte nicht schon wieder weinen.
Sicher würde es diesmal ewig dauern, bis es aufhören würde.
Es würde …
Shane war eingeschlafen.
Sie blickte aus dem Fenster. Schwarz. Schwarze Wolken und weißer Schnee. Es schneite beinahe unaufhörlich, es schneite genau bis zur zweiten Mauer, Shane hatte es selbst erlebt, links der Zirkus, links der Schnee, rechts die Mauer, rechts kein Schnee.
Sie fasste sich an den Kiefer.
Seit dem Vorfall neulich hatte sie ihren ganzen Vorrat an Kaugummis aufgebraucht und es war deutlich besser geworden, jetzt musste sie überlegen, wie sie an die nächste Ration gelangen könne, es war erst Mittwoch.
Shane blickte den Schmauss an. Er schien gereizt und nervös. Er blaffte die Kinder an, das hatte er sonst nie getan, und seine Hand wanderte ohne Pause hoch und runter. Kopf und Auge.
Shane schaute auf ihr Heft. Dreizehn minus sieben. Vier minus drei. Vier Red Bull Dosen. Keine einzige bleibt übrig.
Sie hatte den ganzen Sonntag darüber gegrübelt, was passiert war.
Sie konnte es sich nur so erklären, dass es mehr geworden war.
Es hatte mehr Kraft. Sie hatte mehr Kraft.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Seit dem Samstag hatte sie nicht mehr geübt.
Sie hatte Angst.
In der Pause wurden sie wie Tiere vor die Tür getrieben, sie durften selbst bei diesem Wetter nicht drin bleiben, sie sollten frische Luft schnappen. Shane stand wie jeden Tag in der hintersten Ecke des Schulhofs, hatte die Schultern hochgezogen und schaute auf den kalten vereisten Boden. Sie war allein.
Der Zirkus munterte sie wie immer auf. Sie war heute etwas früher da, sie saß in der vordersten Reihe und sah den Zwillingen bei ihrem Training auf dem gefleckten Pony zu. Abwechselnd sprangen sie an ihm hoch und runter, standen auf seinem Rücken, machten einen Salto und landeten dann in den weichen Spänen. Shane grinste.
Schließlich liefen die beiden Mädchen gleichzeitig neben dem Pony, eine links und eine rechts. Sie sprangen nacheinander auf und standen nun beide auf dem kleinen, galoppierenden Pferd.
Shane klatschte. Die Mädchen winkten ihr zu.
Shane steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Sie hatte ihn in Gertie’s Tasche gefunden.
Durch ihr Gesicht zog sich nur noch ein kleiner Schmerz, bald würde er ganz weg sein. Würde sie dann weiter üben?
Rotbein erschien in der Manege. Shane’s Gesicht hellte sich auf und sie erhob sich.
Nach der
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