Shane - Das erste Jahr (German Edition)
Schloss.
Shane trank ihre Schokolade. Das wäre auch zu schön gewesen. Doch für ihr Vorhaben musste sie nicht in die Stadt. Shane biss sich auf die Unterlippe und schaute sich unschlüssig um. Dann stand sie auf und suchte nach der Zeitung. Sie lag bereits im Müll, der am Montag abgeholt werden sollte. Shane fischte die Zeitung heraus und kletterte wieder auf den Hocker.
„Temperaturen erreichen eisigen Tiefstand. Winter macht Stricken wieder schick. Bürgerbegehren bereitet Waller Kopfschmerzen. Die Alten werden laut.“
Shane runzelte die Stirn und las weiter.
„Nach neuerlichen Entwicklungen der Bandenkriege in der Stadt melden sich die ältesten Einwohner zu Wort und sprechen erneut von unheilvollen Vorahnungen.
Bürgermeister Waller zeigte sich ungewohnt reizbar, angesprochen auf die Äußerungen der Ältesten. Die Stadt sei wohl stolz auf seine zahlreichen, teilweise über hundertjährigen Einwohner, doch niemandem sei geholfen, wenn nun wieder „dieser Hokuspokus losgehe“.
Bei den Diskussionen um die Situation in der Innenstadt seien „esoterische und hirngespenstige“ Geschichten keine Hilfe, man solle dies doch der Polizei und den angeforderten Sicherheitsexperten überlassen.
Den Alten dürften diese Worte wenig gefallen, schließlich spielen sie im sozialen und wirtschaftlichen Leben unserer Stadt eine große Rolle. Viele wohltätige Organisationen, gemeinnützige Einrichtungen und Feste würde es ohne die Ü60 wahrscheinlich gar nicht geben.
Von den Spenden ganz zu schweigen. Nachgefragt bei einem der Rüstigen bekamen wir folgende Antwort: „Dem Bürgermeister sei verziehen.
Angesichts der derzeitigen angespannten Lage und seiner persönlichen Probleme müssen wir nachsichtig mit ihm sein. In Zukunft sollte er von solchen Äußerungen jedoch Abstand nehmen.“
Angefangen hatte die Diskussion vergangenen Dienstag, als sich bei einer Stadtversammlung der Ü60 eine Dame zu Wort meldete und sagte, man solle doch die Polizeispielchen beenden und das Übel in der Stadt bei den Wurzeln packen. Die Schonfrist sei vorbei. Was genau sie damit meine, wollte uns die Frau auch auf weitere Anfragen nicht erklären.“
Shane überlegte kurz. Dann stand sie auf und legte die Zeitung wieder zurück in den Müll, ganz genauso wie sie sie darin vor gefunden hatte. Sie musste vorsichtig sein.
Vier Red Bull Dosen standen vor ihr auf einem Stein. Sie hatte die Anzahl erhöht, und in Zukunft musste sie wohl auf etwas anderes umsteigen, seit Mark nicht mehr da war, gab es keine Red Bull Dosen mehr. Shane überlegte. Sie hatte nur leere Weinflaschen gesehen. Dann schüttelte sie den Kopf. Egal. Darüber konnte sie sich später den Kopf zerbrechen.
Sie schaute auf die Dosen.
Der schwarze Rauch kam schnell, sie hatte viel geübt in den letzten Wochen.
Sie spürte, wie sich aus ihrem Inneren die Welle formte, Shane versuchte sie auf die Dosen zu richten, doch das, was aus ihr heraus schoss, war eine ungezügelte Kraft.
Es gab einen Knall, die Dosen zerplatzten und flogen in alle Richtungen.
Shane hatte sich unwillkürlich geduckt und die Hände vor’s Gesicht gehalten, doch sie wurde sie wie von einer unsichtbaren Hand gestoßen und flog gute zwei Meter rückwärts.
Dann war es still.
Shane stützte sich auf die Ellenbogen und versuchte sich aufzurichten. Ihr Hintern schmerzte. Sie wimmerte. In den Schnee tropfte Blut.
„Ahh.“
Ihr Gesicht fühlte sich an, als hätte es jemand in zwei Hälften geschnitten, eine obere und eine untere. Shane fasst sich langsam an den Kiefer.
Sie blickte neben sich. Ein langer Metallschlitz lag neben ihr. Shane hob ihn auf und betrachtete ihn. Er sah aus wie ein kleiner Dolch. Mit messerscharfen Kanten.
Sie verzog das Gesicht und versuchte nicht daran zu denken, was passiert wäre, wenn sie nur ein paar Zentimeter weiter nach rechts geflogen wäre.
Shane stöhnte. Sie versuchte aufzustehen und schaute sich um.
Überall lagen kleine Messer aus Metall. Es sah aus wie zu Silvester.
Nur, dass das Konfetti scharf wie Rasierklingen war und jemand das Gesicht zerschneiden konnte. Jemanden zerschneiden.
Wieder verzog sie das Gesicht.
Tränen und Blut tropften in das Waschbecken. Shane versuchte den Mund zu öffnen um zu schauen, woher das Blut kam. Nein, Shane. Über die Angst kannst du nachher nachdenken. Wenn Gertie dich so sieht, wirst du den Rest deines Lebens in diesem Haus verbringen.
Shane öffnete den Mund. Sie drehte den Kopf vor dem Spiegel hin
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