Shane - Das erste Jahr (German Edition)
einen Parcours. An jeder Station wird einer von euch turnen. Der andere beobachtet ihn und bewertet nach den Kriterien, die ihr gelernt habt. Ist der Parcours beendet, ist der andere dran. Verstanden?“
Die Kinder nickten gelehrig.
Shane verzog den Mund. Was für eine scheiß Idee! Sie suchte nach dem Mädchen, mit dem sie immer geübt hatte. Gerda, wo bist du?
„Los geht’s!“, sagte Rotbein, und die Kinder stoben auseinander. Shane blickte sich um. Verdammt, Gerda, wo bist du?
Der Mann mit den Strumpfhosen kam auf sie zu. „Miss Shane, deine Partnerin ist krank, du übst heute mit jemand anderem.“
Sie runzelte die Stirn. Hinter Rotbein erschien Rambo. Ach du Scheiße! „Äh…“, machte sie.
Rotbein, der sich gerade umgedreht hatte, warf einen Blick über die Schulter. „Ja?“
Shane vermied es, Rambo anzublicken. „Ich trainiere lieber allein.“
Rotbein drehte sich um, blickte sie nur schweigend an und zog die Augenbrauen hoch. Shane verdrehte innerlich die Augen. „Ja, schon gut.“
Rotbein nickte und ging davon. Rambo kam auf sie zu. Sie schauten sich an.
„Ich kotz gleich.“, sagte Shane.
„Mir ist auch nicht grad nach Feiern zumute.“, erwiderte Rambo.
Shane zuckte mit den Schultern. „Also, bringen wir es hinter uns!“
„Was ist los Ratte, so lammfromm heute?“
„Halt die Klappe!“
„Man könnte denken, du hast aufgegeben. Als würdest du bald drauf gehen.“
„Tja, was soll ich sagen, Rambo, vielleicht hast du recht.“
Rambo runzelte die Stirn. „Was?“, fragte er wirklich überrascht und fasste sie am Arm.
„Hey!“, zischte sie ihn an. „Nimm deine scheiß Pfoten von mir, sonst werde ich dir sehr wehtun!“
Rambo zog seine Hand zurück. Auf seinem Gesicht erschien derselbe gleichgültige Ausdruck wie immer. Er nickte. „Hm, lass mich mal überlegen, wann ich das das letzte Mal gehört habe. Ach ja, das war gestern Abend!“
Shane machte ein verächtliches Geräusch. „Oh nein, ich werde dir Schmerzen zufügen, von denen du nicht einmal träumst!“
Rambo schaute sie ruhig an. „Ich denke da irrst du dich.“ Er drehte sich um und ging davon.
Shane lief langsam durch die Gassen. Das Training heute hatte sie verwirrt. Und zwar auf verschiedene Art und Weise. Rambo hatte sie verwirrt. Das, was sie zu ihm gesagt hatte, hatte sie verwirrt. Es tat ihr leid, dass sie es gesagt hatte, selbst so einer wie Rambo hatte einen prügelnden Vater nicht verdient.
Doch sie hatte ihre eigenen Probleme, und sei mir nicht böse, mein lieber Rambo, aber die sind etwas größer als deine. Warum, Shane? Ihr könntet beide draufgehen.
Der Gedanke, dass sie beide etwas gemeinsam hatten, verwirrte sie ebenfalls.
Während sie balanciert, geklettert und geschaukelt hatte, hatte er die ganze Zeit ruhig in der Manege gestanden und sie beobachtet.
Danach hatte er mit einer klaren Stimme zu ihr gesprochen, und zwar nicht den Mist den er sonst von sich gab, sondern sinnvolle Sätze, mit denen sie etwas anfangen konnte. Das hatte sie ebenfalls verwirrt.
Gott sei Dank war er eine Niete an allen Stationen gewesen, und so hatte sie sich auf etwas anderes konzentrieren können. Als er fertig gewesen war, war er nach Atem ringend zu ihr gekommen. „Schon gut, Ratte, du kannst es mir und dir ersparen. Ich bin eine Null, und ich denke, der komische Hosentyp hat uns nur wegen seines Sozialkomplexes zusammengesteckt.“
Shane hatte ihn fragend angeblickt. Rambo war einen Schritt an sie herangetreten. „Er ist ein Freak, Shane.“, hatte er leise in ihr Ohr gesagt. „So wie du und ich. Er müsste es eigentlich wissen.“ Dann hatte er sich umgedreht und war gegangen.
Shane schüttelte den Kopf. Sie zog die Luft ein, die zwar eiskalt war, aber ihren Kopf und ihre Gedanken zu kühlen vermochte.
Konnte es sein, dass Rambo nichts war als ein armer verängstigter Junge? Ein netter Junge?
Hör auf, Shane! Du bist schon so lange nicht mehr unter normalen Menschen gewesen, dass du total den Verstand verloren hast! Oder hast du ihn vergessen, den Tag? Jenen Tag?
Rambo und der Zirkel.
Shane blickte über die Straße. Sie wollte in die Stadt, und zwar sofort! Sie hatte noch etwas Zeit, zwar nicht viel, doch es würde reichen, um auf andere Gedanken zu kommen. Keine besseren, aber andere. Shane überquerte die Straße und ging durch den Mauerbruch hindurch, und wäre sie nicht so verwirrt gewesen, wäre sie nicht so abgelenkt gewesen von der Suche nach Zerstreuung, so hätte sie
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