Shane - Das erste Jahr (German Edition)
eingehen.
Obwohl sein Magen knurrte und es Freitag war, zog sich der junge Mann am Geländer die Treppen hoch.
Freitag gab es Braten, und es war schon schlimm genug, dass er noch bei seinen Eltern wohnte, doch das Essen und der Wäscheservice waren vorzüglich, und so lange er als Bulle die Kriterien erfüllte, die der Alte vor ihm verlangte, würde er auf ewig hier wohnen bleiben können.
Beim Gedanken an seinen Job zog er die Lippe hoch als würde er die Zähne fletschen.
Kein Grund, dem Alten etwas anzuhängen, Stetten, die scheiß Laune hast du, weil dieser arrogante Penner von Inspektor dich in deine Schranken zu weisen versucht hatte. Nun schnaubte Stetten wie ein wildes Tier. Thorsten, dieser alte Sack!
Er würde sich das nicht gefallen lassen, er würde nicht das machen, was ihm ein gottverdammter alter Sack sagte, er würde tun was er wollte, was er für richtig hielt; der Alte hatte es genauso getan, und sieh’, was aus ihm geworden ist!
Stetten warf einen Blick über die Schulter, als könne er durch die Wände in das elterliche Schlafzimmer schauen. Er wünschte manchmal, der Alte würde abkratzen, doch die ganzen scheiß Orden im Esszimmer zeugten davon, was für ein verflucht guter Bulle er gewesen ist, und eins hatte Stetten mit seinem Vater gemein: Er war ein Arschloch.
Die alte Frau hob den Kopf. Es war soweit.Sie hatte ihre Wache noch nicht begonnen, doch irgendetwas in ihr sagte, dass es Zeit wäre. Sie zog den Mantel an und streifte die Kapuze über. Die alte Frau öffnete die knarrende Tür und runzelte die Stirn. Sie konnte es riechen. Etwas lag in der Luft, und sie konnte es riechen.
Stetten zog die Tür hinter sich zu und setzte sich an den Schreibtisch. Als er den Laptop öffnete, erschien sofort das Bild. Das Bild, welches er schon an die hundert Male angeschaut hatte, das Bild, welches ihn nicht mehr losließ. Er beugte sich nach vorn und kniff die Augen zusammen.
Wie immer, wenn er auf den Monitor starrte,
schüttelte er den Kopf. Es konnte nicht sein. Es konnte einfach nicht sein!
Die Stadtmauer lag im Dunkeln vor seinen Augen. Stetten lehnte sich zurück, er wusste, was jetzt kam. Schreie waren zu hören. Aus dem Nichts erschien eine kleine weiße Gestalt und schwang sich über die Stadtmauer.
Stetten hatte sich einzureden versucht, dass wohl der eine oder andere Scotch aus der Bar des Alten zu viel gewesen sein musste, doch am Blick des Inspektors hatte er gesehen, dass es nicht so war.
Thorsten hatte es auch gesehen, er war genauso überrascht gewesen wie er, er war genauso schockiert gewesen.
Stetten drückte auf die Taste mit dem Pausezeichen, eine automatisierte Bewegung. Der Film hielt an. An der gleichen Stelle wie immer. 34:18
Die Gestalt drehte den Kopf und blickt direkt in die Kamera.
Stetten schüttelte zum tausendsten Mal den Kopf.
Es war ein Mädchen.
Shane schob sich durch die engen Gänge. Die Zirkusleute hatten überall diese Pilze aufgestellt, die meisten dort, wo sich die Käfige der Tiere befanden. Shane fand das extrem nett. Sie lief an den Eisenstangen vorbei, hinter denen sich die Tiger in die letzte Ecke verkrochen hatten. Sie lächelte ihnen zu. Wow Shane, Tiger als Freunde. Sie zuckte mit den Schultern. Besser als nichts.
Im Zirkuszelt selbst war es warm wie immer. Staubige, trockene Wärme. Rotbein winkte den Kindern zu und Shane runzelte die Stirn. In den letzten Wochen hatte sie stets allein trainiert, und es hatte sie nicht gestört. Ganz im Gegenteil. Sie hatte es genossen. Shane stellte sich in den Kreis, der sich um Rotbein gebildet hatte. Der nickte in die Runde. „Meine lieben Kinder, ab heute seid ihr keine Kinder mehr, ihr seid professionelle Zirkusartisten!“
Die Kinder lächelten nicht, sie hatten gelernt, zuzuhören, wenn jemand zu ihnen sprach, und dass einige von ihnen so angestrengt lauschten, dass sie die Stirn in Falten zogen,
zeugte nur noch mehr von ihrer Professionalität. Rotbein sah es und lächelte zufrieden. „Eure Leistungen haben sich enorm gesteigert, alles was wir von euch erwartet haben, habt ihr erfüllt oder übertroffen. Der nächste Auftritt steht bevor.“
Nun lächelten die Kinder doch, und Rotbein freute sich über ihre kindliche Vorfreude.
Lampenfieber ist ein gutes Konzentrationstraining.
Doch das musste er nicht sagen, das wussten sie bereits, diese kleinen schlauen Biester. Wieder lächelte er. „Wir probieren heute etwas Neues aus. Ihr bildet Zweiergrüppchen und durchlauft
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