Shanera (German Edition)
Alnidas.“, flüsterte Kessy zu Rey, der nur leise seufzte.
Der drehte sich zum letzten Sprecher um. „Ihr wollt doch hoffentlich nicht die Allmacht des Göttlichen anzweifeln?“
„Das liegt mir fern und darum geht es überhaupt nicht!“, entgegnete der Angesprochene hitzig.
Eris übernahm das Wort: “Wir dürfen einfach nicht zwei Dinge verknüpfen, die nichts miteinander zu tun haben. Es steht nirgendwo geschrieben, dass der Erwerb von Wissen und neuen Beziehungen verboten ist.“
„Aber es steht geschrieben, dass alle Ablenkungen vom rechten Pfad vermieden, ja sogar verhindert werden müssen! Davon werde ich nicht ablassen!“ Alnidas schlug auf den Tisch. „Es ist unsere wichtigste Aufgabe, den Respekt vor den Göttern und damit ihr Wohlwollen zu erhalten und dafür werden wir mit allen Mitteln kämpfen!“
„Der rechte Pfad!“, rief Eris in spöttischen Tonfall. „Was soll das sein? Für Euch ist der rechte Pfad der, der den Gottesdienern ihre Stellung und ihre Macht sichert. Der den Leuten so wenig Zeit zum Nachdenken lässt, dass sie nicht darauf kommen, dass vieles ohne Gebete und Rituale und Zustimmung der Priester vielleicht besser und schneller ginge!“
Eris wandte sich ans Publikum. „Sollen immer so weitermachen wir bisher? Dürfen wir nichts dazu lernen? Es gibt genügend Krankheiten, die wir nicht behandeln können, Naturkatastrophen, denen wir ausgeliefert sind. Unsere Nahrungsbeschaffung ist schwer und kostet viel Zeit. Unsere Kunst und Technik sind primitiv. Viele Dinge scheinen wir schon wieder vergessen zu haben, von den Errungenschaften der Außenweltler möchte ich gar nicht reden!“
„Sollen wir uns diese Beleidigungen unserer Kultur und unserer Gottesdiener noch länger anhören?“, brauste Alnidas auf.
Der Ratsvorsitzende erhob beschwichtigend die Hände, wirkte aber nicht übermäßig besorgt. Offenbar kamen solche Auseinandersetzungen nicht zum ersten Mal vor.
Eris war noch nicht fertig. „Und was ist, wenn wir wirklich einmal Besucher bekommen, die uns feindlich gesinnt und gleichzeitig überlegen sind? Die Außenweltler hier wären, wenn sie uns denn Schaden zufügen wollten, sicher nicht auf diese Verhandlungen angewiesen. Sie würden sich auch kaum so geduldig die Anfeindungen anhören, die einige der hier Anwesenden vorbringen. Und die beiden da hinten sind wohl kaum gefährlich, sondern offensichtlich Primitive aus den Randgebieten.“
Shanera schluckte. Primitive? Dachten die Flussleute so über sie? Sie sah ihre Freunde an und dann an sich herab. Lederkleidung, abgenutzt vom langen Gebrauch und nicht gerade sauber. Wie mochte sie erst auf ihre Begleiter – die „Außenweltler“ – wirken, deren im Licht schimmernde Kleider wie geleckt aussahen?
„Falls aber der andere Fall eintritt“, fuhr Eris fort, „dann sollten wir besser darauf vorbereitet sein, denn dann können wir nicht mehr einfach ignorieren oder wegschicken, was uns vielleicht nicht gefällt. Wenn wir uns jetzt auf solche Weise ignorant verhielten, wäre das doch absurd.“
„Absurd?“, brauste Alnidas auf. „Absurd ist es, zu glauben, wir könnten etwas gewinnen, wenn wir uns mit Eindringlingen einlassen. Wir müssen wachsam sein und dürfen nicht zulassen, dass man uns ausspioniert oder unterwandert!“
„Genau!“, rief der Mann neben ihm aus und sprang auf. „Wir vernachlässigen unsere Sicherheit und vergessen, was uns zusteht und was Demut vor den Göttern bedeutet!“
„Seid Ihr verrückt geworden?“, rief Irinos von seinem Platz. „Was Ihr da redet, ist völlig idiotisch! Erzählt mir nichts über Demut – Ihr wisst ja nicht einmal, was das ist!“
Jetzt meldeten sich überall aus dem Saal laute und verärgerte Stimmen, alle redeten durcheinander und versuchten sich gegenseitig zu übertönen.
„Beruhigt Euch!“, versuchte der Vorsitzende die Gemüter zu beschwichtigen, und dann, lauter: „Ich sagte, Ruhe!“. Er schlug mehrmals auf den Tisch, bis zumindest die lautesten Schreier verstummten. „Offensichtlich kommen wir so nicht weiter. Die Sitzung wird auf morgen vertagt.“ Er blickte die Kontrahenten streng an und fuhr dann fort. „Dann werden uns Alnidas und Eris ihre Positionen noch einmal kurz – und ich meine das auch so – zusammenfassen und anschließend werden wir darüber entscheiden, und zwar ohne weiteres Geschrei und sinnlose Diskussionen. Wir können es uns nicht leisten, solchermaßen uneinig zu sein. Die Sitzung ist beendet, wir werden uns zu
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