Shanera (German Edition)
nicht nur das – obwohl sie unsere gewöhnliche Sprache nicht spricht, beherrscht sie die göttliche Sprache!“
Er richtete das Wort an Zela. Shaneras Übersetzer blieb stumm, doch sie erkannte die religiöse Sprache. Obwohl diese im täglichen Leben der Kintari keine Rolle spielte, hatte sie die in ihrer Ausbildung erworbenen Grundkenntnisse während ihrer Beschäftigung als Schreiberin soweit gefestigt, dass sie auch Gesprochenes einigermaßen verstehen konnte.
„Was sagt er, verstehst Du das?“, flüsterte Noor ihr ins Ohr. Sie übersetzte: „Er fragt sie, wer die Macht über Luft und Erde, über Leben und Tod hat – eine traditionelle Formel zur Einleitung eines Gebets.“
Tatsächlich antwortete Zela mit einer kurzen Litanei. Als Shanera zum Übersetzen ansetzte, winkte Noor ab: „Sag nichts – ein Glaubensbekenntnis, stimmt‘s?“ Shanera nickte. „So befragt, hat sie ja gar keine andere Wahl, als mitzuspielen.“, murmelte er.
Rey beugte sich zu Shanera: „Ich nehme mal stark an, das sind Deine Freunde?“ Sie bejahte stumm und blickte Zela nachdenklich an. Obwohl sie sich freute, die beiden gesund zu sehen, hatte sie sich ihre Rettungsaktion etwas anders vorgestellt. Jetzt standen sie alle im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und konnten nur auf das Wohlwollen oder die Milde der Flussleute hoffen. Oder auf tatkräftige Hilfe ihrer neuen Freunde. Aber irgendwie bezweifelte sie, dass sich diese offen gegen die Einheimischen stellen würden. Dazu waren sie bisher zu zurückhaltend aufgetreten.
Dem Publikum schien die Tragweite von Zelas Antwort nicht so ganz klar zu sein, wie ein paar gerunzelte Stirne verrieten. Der Ratsvorsitzende schaltete sich ein.
„Sie beherrscht also die göttliche Sprache, zumindest ein wenig. Aber was wollt Ihr damit beweisen? “
Bevor Alnidas antworten konnte, fragte ein anderes Ratsmitglied: „Ihr sagt, sie spricht unsere Sprache nicht?“ Er wandte sich an Zela: „Wie heißt Du?“ Zela fühlte sich angesprochen, konnte aber natürlich nichts verstehen. Sie blickte den Fragenden unglücklich an und machte eine entschuldigende Geste.
„Ihr könnt später noch mit ihr sprechen und Euch selbst überzeugen“, nahm Alnidas das Wort wieder an sich. „Sobald wir uns mit ihr in der Sprache der Götter unterhielten, hat sie uns genug erzählt. Es gibt also keinen Grund, an ihren Sprachkenntnissen zu zweifeln. Wichtig ist, dass sie von sehr weit her gekommen ist. Und doch, obwohl ihre Leute nie zuvor Kontakt mit uns hatten, spricht sie die gleiche göttliche Sprache und kennt die gleichen Bekenntnisse und Rituale.“
Er blickte in die Runde. „Das zeigt, dass das Göttliche das einzig Beständige und Absolute ist. Das Studium der Lehren und die Befolgung der Gebote sind der alleinige Weg zur Erlösung in der Nachwelt. Wer sich von den weltlichen Dingen ablenken lässt und glaubt, er kann so schlau werden, dass er die Götter nicht mehr braucht, dem ist die Verdammnis gewiss.“
Eines der in der Nähe des Alten sitzenden Ratsmitglieder erhob sich. „Das ist wahr! Wir vertun unsere Zeit und bringen uns in Gefahr, indem wir den Außenweltlern zuhören und sie hier herumlaufen lassen!“
Shanera runzelte die Stirn, als sie den Begriff „Außenweltler“ hörte. Wussten die Flussleute mehr als sie? Was meinten sie damit? Dass ihre Begleiter von einer anderen Welt kamen? Aber wo sollte die sein? Irgendwo jenseits des Dschungels oder des Gebirges?
Irinos hob beschwichtigend die Hände: „Das ist ja wohl ziemlich übertrieben. Die Verhandlungen kosten uns nichts im Vergleich zu den Erkenntnissen und zukünftigen Handelsbeziehungen, die sie uns bringen können. Und mit mangelndem Respekt vor den Göttern hat das überhaupt nichts zu tun.“
„Und ob es das tut! Die Götter herrschen über unsere Welt – selbst so entlegene Gebiete wie die, aus denen dieses Mädchen kommt. Aber diese Außenweltler haben keine Götter, sie erkennen sie nicht an! Und dann soll es keine Respektlosigkeit sein, mit solchen Leuten zu reden?“
Der Ratsvorsitzende schien etwas einwerfen zu wollen, besann sich aber dann anders.
„Ihr widersprecht Euch doch selbst!“, rief Irinos aus und beugte sich vor. „Wenn die Götter über alles herrschen, dann beschützen sie – vielleicht im Verborgenen – auch die Außenweltler, die ja offenbar einiges geleistet haben, um hierher kommen zu können. Und wenn nicht, dann legen sie ihnen zumindest keine Hindernisse in den Weg.“
„Doch –
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