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Shanera (German Edition)

Shanera (German Edition)

Titel: Shanera (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Schön
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eine davon in den Hauptlauf überführen konnte. Sie richtete die Spitze der Waffe auf einen nahen Baumstumpf, probierte herum und zuckte zusammen, als sich mit einem scharfen Zischen der Schuss löste und die Pfeilspitze sich mit beträchtlicher Wucht in das morsche Holz grub.
    Shanera zog die Spitze nicht ohne Mühe wieder heraus. Sie war nicht sicher, ob man mit dieser Konstruktion einem geübten Bogenschützen voraus war. Für den untrainierten Benutzer war es aber sicher leichter und schneller zu handhaben als ein Bogen, und die Pfeilspitzen nahmen weniger Platz weg als ganze Pfeile. Über längere Entfernung schien die Waffe allerdings kaum einsetzbar.
    Ihr blieb keine Zeit, lange auszuruhen, denn sie wollte die Boote nicht zu weit davon ziehen lassen. Also quälte sie sich weiter, den Dschungel verfluchend und nichts sehnlicher wünschend als eine kühle Brise und freien Blick. Selbst wenn es nur nach einer Seite wäre. Es ging jetzt leicht bergan, zwischen dunklen, gerade gewachsenen Baumstämmen. Insgesamt war es ruhiger geworden, das Tropfen hatte aufgehört und nur entfernte Vogelrufe waren zu hören.
    Shanera überlegte, ob die neue Waffe ihr überhaupt helfen konnte, wenn sie auf die Fremden traf. Sie war allein, daran änderte sich nichts. Auch konnte sie sich kaum vorstellen, auf einen anderen Kintari, oder wer immer die Fremden sein mochten, zu schießen. Sie wollte niemanden verletzen.
    Lebensbedrohende Gewalt hatte es in den Dörfern nie gegeben. Von Kind an hatte man ihnen eingeimpft, dass Aggressionen durch Verhandlungen oder in ritualisierten Wettkämpfen abgebaut werden mussten. Das Gewaltpotenzial der Kintari schien nicht groß genug zu sein, um sich, abgesehen von ein paar harmlosen und immer schnell beendeten Prügeleien, über diese Regeln hinwegzusetzen.
    Eine andere Lösung musste gefunden werden. Eventuell hatte sich ja alles schon aufgeklärt, bis sie kam, und ihre Freunde hatten sich mit den Fremden verständigt. Es war jedoch zu befürchten, dass dem nicht so war und ihre Begleiter Gefangene waren. Vielleicht konnte sie sie befreien, vielleicht konnte sie sich mit den Fremden irgendwie einigen, wenn sie auch nicht wusste, wie. Wahrscheinlich würde allein schon die Sprache ein Problem werden, schließlich konnte sie auch die Schrift nicht entziffern.
    Wie sollte sie sich mit den Fremden verständigen? Ein solches Problem hatte sich in der Gemeinschaft und den wenigen Nachbardörfern nie gestellt. Vielleicht konnte sie etwas zeichnen. Vorausgesetzt, man gab ihr genug Zeit und sie hatte die Hände frei … Dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihre Ausrüstung mit ihren Schriftrollen eingebüßt hatte. Sie seufzte und trottete mit sinkendem Mut weiter durch das brütende Halbdunkel.
    Beinahe wäre ihr die Veränderung zu spät aufgefallen, die sich plötzlich im Bild des vor ihr liegenden Waldes ergab. Die hohen Stämme verschwanden und wurden durch ein Gewirr aus Ästen und Ranken ersetzt, das bereits dicht über dem Boden begann. Shanera, die ohne groß achtzugeben auf eine noch verbleibende Lücke im Dickicht zugesteuert war, sah sich unversehens einem unerwarteten Anblick gegenüber.
    Wo eben noch verrotteter Waldboden gewesen war, öffnete sich jetzt ein nebliges Nichts. Nur wenige Schritte vor ihr schien der Weg beendet. Mitten im Wald klaffte ein Abgrund. Dennoch nahmen die Bäume kein Ende. Irgendwie schienen sie auch in der Schlucht zu wachsen oder darüber hinweg, wenngleich kein Gegenüber erkennbar war.
    Sehr vorsichtig – ihren letzten Sturz noch lebhaft in Erinnerung – tastete sie sich an den Rand vor, der von einigen großen Wurzeln gebildet wurde. Es ging steil bergab, bis ein paar Schritte unter ihr die nächsten Wurzeln sichtbar wurden, darunter ein paar Äste, die in die Schlucht hinausragten. Immer tiefer fiel der Grund, im Dunst vermeinte sie, weit unter sich, einige Baumkronen zu erspähen. Aber auch vor ihr ragten gekrümmte Stämme und Äste in den Raum. Worauf diese Bäume wurzelten oder ob es sich um wahre Riesen auf dem Grund der Schlucht handelte, war nicht zu erkennen. Ebenso wenig ein Ende des Abgrunds zu beiden Seiten.
    Diesmal dachte sie schneller an die Karte. Bald würde sie sich noch fragen, wie sie eigentlich früher ohne das Ding zurecht gekommen war. Shanera runzelte die Stirn und ließ das Bild erscheinen. Auf den ersten Blick war nichts Besonderes zu sehen, sonst hätte sie diesen Weg wahrscheinlich auch nicht gewählt.
    Bei genauerem Hinsehen

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