Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shanghai Love Story

Shanghai Love Story

Titel: Shanghai Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Rippin
Vom Netzwerk:
schlafen gerne lang.«
    Sie hatten fast eine Stunde gebraucht, um hierher zu kommen. Sie waren mit dem Bus in einen Außenbezirk von Shanghai gefahren und hatten zweimal umsteigen müssen. Unterwegs hatte Anna herauszufinden versucht, wohin sie fuhren, aber Chenxi tat so geheimnisvoll wie immer. Die Sache wurde immer rätselhafter: Jetzt standen sie vor einem uralten chinesischen Gebäude, und er fing an zu flüstern, als ob sie sich in einer Kunstgalerie oder einer Kirche befänden.
    Knarrend öffnete sich die Tür einen Spalt, und ein dünner Chinese mit einem fedrigen weißen Bart und dunklen Ringen unter den vor Müdigkeit schmalen Augen spähte ihnen entgegen. Sein Gesicht hellte sich auf, als er Chenxi sah, aber bei Annas Anblick runzelte er die Stirn. Er schlug Chenxi freundschaftlich auf den Rücken, drückte seine Schultern und nahm gnädig die Plastikschale mit Schweinefleischbällchen an, die Chenxi auf dem Weg hierher für ihn gekauft hatte. Dann öffnete er weit die Tür und bedeutete ihnen einzutreten, wobei er Anna keine Sekunde aus den Augen ließ.
    Anna lächelte schwach und trat über die wellige Türschwelle in den Raum. Als Chenxi ihr folgen wollte, packte ihn der bärtige Mann an der Schulter und zog ihn wieder in den Innenhof. Sie hörte die beiden draußen miteinander reden. Ein Wort erkannte sie, eins, das ihr mittlerweile nur zu vertraut war: Wai guo ren.
    Ihre Augen gewöhnten sich langsam an das gedämpfte Licht, und Anna schaute sich um. Ein Himmelbett, auf dem zerknülltes Bettzeug lag, nahm die eine Ecke des Zimmers ein, und ein mit Schnitzereien verzierter Tisch aus Palisanderholz die andere. Sie machte ein paar Schritte vorwärts und stolperte über eine Teetasse. Es roch nach Zigarettenrauch, Schweiß und dem widerlich süßen Reiswein. Anna setzte sich auf einen dreibeinigen Schemel und betrachtete die handgemalten Poster an der Wand. Sie starrte auf die kriegerisch wirkenden roten Schriftzeichen, als ob sie sie allein durch ihre Willenskraft entziffern könnte. Aber sie blieben so undurchschaubar wie Hieroglyphen.
    Chenxi betrat den Raum, gefolgt von dem bärtigen Mann. Sie hockten sich auf Schemel und fingen an zu reden, als ob Anna gar nicht da wäre. Schon bald schob ein junger Chinese den Kopf durch die Tür. Chenxi lachte und zog einen weiteren Schemel herbei. Der Mann mit dem weißen Bart stand auf und holte eine Flasche Reiswein. Der Neuankömmling entdeckte Anna und starrte sie mit offenem Mund an. Er schaute Chenxi an, der etwas auf Chinesisch sagte, woraufhin der junge Mann Anna respektvoll zunickte. Dann wandte er sich wieder zu Chenxi und zog ein Päckchen Zigaretten hervor. Mit lauten, aufgeregten Stimmen spielten die drei das Spiel des Schenkens, boten Zigaretten an, lehnten sie ab und tauschten sie. Anna hatte das schon früher erlebt. Es schien so, als ob derjenige, der die teuersten Zigaretten anbieten und sie den anderen am geschicktesten aufdrängen konnte, besonderes Ansehen genoss.
    Nach diesem Ritual setzten sie sich wieder und zündeten sich schweigend ihre Zigaretten an. Der groß gewachsene junge Mann drehte sich zu Anna und bot ihr eine Zigarette an. Anna schüttelte den Kopf und lächelte höflich. Sie hatte gehört, dass in China nur Künstlerinnen und Prostituierte rauchten, und sie hoffte, Chenxi hatte sie als zur ersten Kategorie zugehörig vorgestellt.
    Plötzlich klatschte sich der Neuankömmling auf die Schenkel und zog ein Buch mit Fotografien aus seiner Tasche. Scheu und wortlos reichte er das Buch dem alten Mann, und Chenxi rückte näher, um ihm über die Schulter schauen zu können. Obwohl Anna die Fotografien nur auf dem Kopf stehend sah, erkannte sie, dass es sich um Fotos von Gemälden handelte. Der bärtige Mann betrachtete sie mit verengten Augen und blätterte das Buch durch. Bei einem Gemälde in Grau verharrte er. Es war der graue Körper eines Mannes, der auf dem Rücken in einem Teich aus grauem Wasser trieb. Eine einzelne rote Pfingstrose erblühte wie ein Blutfleck auf seiner Brust.
    Anna schaute zu dem groß gewachsenen jungen Mann hin. Sein Gesicht war erwartungsvoll angespannt.
    Â» Bu zuo, bu zuo «, murmelte der bärtige Mann und nickte. Der junge Mann brach erleichtert in einen hektischen Monolog aus. Der bärtige Mann sagte nichts mehr.
    Â» Ni hao! Ni hao! « Drei weitere Jünglinge

Weitere Kostenlose Bücher