Shanghai Love Story
Angelegenheiten! WeiÃt du, was du bist, Laurent? Du bist nur ein verdammter, paranoider Junkie!«
Laurent erbleichte. Während Anna sich schnell umdrehte, merkte sie, dass es ganz still geworden war im Restaurant. Alle starrten sie an. Sie war noch keine zehn Schritte gegangen, als sie ihre Worte schon bereute. Sie stampfte über den Marktplatz und schob sich durch die gaffenden Bauern. »Warum ist er immer so misstrauisch? Hat ihn das Leben in China so zynisch werden lassen?«
Ihre Schritte hallten in dem leeren Flur wider, als sie die Treppe hinauf durch die Akademie eilte. AuÃer Atem kam sie im zweiten Stock an und blieb vor der Tür zu ihrem Klassenzimmer stehen. Jemand war schon drin. Sie spähte durch die staubige Glasscheibe. Chenxi saà an seinem Tisch und starrte auf sein Gemälde, das an die Wand geheftet war, das Gemälde, bei dem sie ihm geholfen hatte. Anna konnte nur seinen Rücken sehen, aber er saà gebeugt da. Dann stand er auf, ging zu ihrem Tisch und betrachtete ihre Seidenmalerei. Er hob die Seide auf und hielt sie dicht vor sein Gesicht, ehe er sie vorsichtig wieder auf die Tischplatte legte.
Tief in ihrem Inneren hatte Anna die ganze Zeit gewusst, dass es nicht Chenxi war, der ihr Bild gestohlen hatte. Es konnte jeder der Studenten gewesen sein, die nach Belieben in den unverschlossenen Räumen ein und aus gingen. Wie sie ihn so durch das Fenster in der Tür betrachtete, wie er dastand, klein wirkend vor dem Meisterwerk, das er erschaffen hatte, empfand sie wieder dieses Gefühl des Fallens, das ihr mittlerweile so vertraut war. Sie betrachtete ihn, wie er sein Bild anstarrte. Wie er es vorsichtig, fast ehrfürchtig von der Wand löste und zusammenrollte. Sie betrachtete ihn, wie er es unter seinem Arbeitstisch verstaute. Was für eine Qual verbarg er vor ihr hinter seinem ausdruckslosen Gesicht? Als ob er ihre Gedanken fühlen könnte, drehte sich Chenxi um und blickte sie an.
Anna öffnete die Tür, ging in den Raum und setzte sich auf die Kante ihres Arbeitstischs. »Ich musste mit dem Seidenbild noch mal von vorne anfangen«, sagte sie. »Jemand hat das erste Bild gestohlen.«
»Ich haben gehört«, sagte Chenxi und lächelte. »Du werden zu gut.«
Anna errötete. Sie deutete zu Chenxis Bild unter dem Tisch. »Warum zeigst du das Bild niemandem?«, fragte sie, und sie merkte, dass es fast flehend klang.
Chenxi zuckte mit den Schultern und schaute zur Seite. »Du nicht verstehen«, murmelte er.
»Wie soll ich etwas verstehen, wenn du mir nie etwas erklärst?«, brach es aus Anna heraus. »Warum behandelst du mich immer wie eine dämliche Ausländerin? Ich bin jetzt seit fast vier Wochen in China. Ich reise in ein paar Tagen wieder ab. Ich habe so viel Zeit mit dir verbracht. Und es kommt mir so vor, als würde ich dich mit jedem Tag, den wir zusammen sind, weniger kennen! Ich will doch verstehen! Wovor hast du Angst? Wovor willst du mich beschützen?«
Anna biss sich auf die Lippen. Sie konnte nur hoffen, dass der kleine Spalt, den sie geöffnet hatte, sich nicht wieder schlieÃen würde. Sie wandte sich ab.
Chenxi beobachtete sie.
»Es tut mir leid«, flüsterte Anna. »Ich weiÃ, es geht mich nichts an.«
Ein Lächeln zuckte über Chenxis Mundwinkel. »Ich dich bringen zu Ort«, sagte er. »Dann du verstehen.«
»Was hast du gesagt?«
»Mitkommen«, sagte Chenxi und streckte die Hand aus. »Es geben einen Menschen, der meine Kunst verstehen.«
Kapitel 18
Das Sonnenlicht schnitt den abgewetzten ParkettfuÃboden in geometrische Muster. Zigarettenqualm hing in dicken Schwaden in der Luft, und auf dem Boden standen Teetassen verstreut. In einigen befanden sich die getrockneten schwarzen Ãberreste der Teeblätter, in anderen die kristallisierten Splitter von verdunstetem Reiswein. In der dunkelsten Ecke des Raums lag ein bärtiger Mann auf einem Bett und rauchte.
Vor seiner Tür hörte er zwei Stimmen murmeln. Der Mann erhob sich und schob die FüÃe in ein Paar fadenscheinige Pantoffeln. Er schlurfte zu einem Stuhl, über dem sein Hemd lag, und schaute auf die Uhr, ehe er zur Tür ging.
»Wir erst können um zwei Uhr zu ihm«, flüsterte Chenxi Anna zu. Sie standen in einem belaubten Innenhof vor einer Holztür, von der die Farbe abblätterte. Der Verkehrslärm klang nur gedämpft herein. »Er
Weitere Kostenlose Bücher