Shanghai Love Story
tauchten im Türrahmen auf, und Chenxi stand auf, um sie zu begrüÃen. Einer von ihnen, dem das Haar bis auf die Hüfte fiel, trug eine reichlich ramponierte Bildermappe unter dem Arm. Ein anderer, der seinen Kopf geschoren hatte, hatte eine Papierrolle dabei. Lebhaft und freudig erregt traten sie ein, und wieder begann das Zigarettenspiel.
So ging der Nachmittag dahin. Anna saà in der Ecke, trank Tee und schaute zu, wie junge Künstler kamen und gingen, wie sie zu diesem seltsamen, stillen, bärtigen Mann pilgerten. Zu jedem Gemälde und zu jeder Zeichnung sagte er nur ein paar Worte, aber jedes Mal senkte sich eine Stille über die Anwesenden, und alle hingen an seinen Lippen.
Wenn der bärtige Mann beschäftigt war, brachten die jungen Männer ihre Arbeiten zu Chenxi, der sie ausgiebig mit ihnen diskutierte. Sein Gesicht war ernst und seine Stimme leidenschaftlich und voller Begeisterung. Chenxis Taschen beulten sich von den vielen ausländischen Zigaretten aus, die man ihm schenkte, und irgendwann musste er sie in seinen Beutel oder hinter seine Ohren stecken.
Anna war langweilig. Sie merkte, wie sie gereizt wurde. Die Luft im Zimmer stand förmlich vor Zigarettenrauch, und das Geplapper der jungen Künstler ging ihr auf die Nerven. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber gemessen an dem veränderten Lichteinfall und dem Krampf in ihrem Bein musste es wohl bald Abend sein. Sie stand auf und streckte sich. Die jungen Männer verstummten und starrten sie an, als ob sie gerade aus dem Nichts aufgetaucht wäre. Anna errötete.
Chenxi kam zu ihr. »Was ist?«, fragte er.
»Ich möchte heimgehen!« Ihr war klar, dass sie sich wie ein schmollendes Kind benahm, aber das war ihr egal.
Chenxi seufzte. Er ging zurück zu dem jungen Mann, dessen Werk er gerade begutachtet hatte, und sagte etwas. Der junge Mann nickte. Dann ging Chenxi zu dem Mann mit dem fedrigen weiÃen Bart und nahm dessen Hände in seine eigenen. Der Bärtige drückte zum Abschied Chenxis Schulter und nickte, ohne zu lächeln. Im Raum wurde es still.
»Okay«, sagte Chenxi. Er wandte sich zu Anna und hielt ihr die Tür auf. Sie trat hinaus in die Helligkeit und sah, dass die Sonne schon tief am Himmel stand.
»Wer ist dieser Mann?«, wollte Anna wissen, als sie aus dem Innenhof traten und in Richtung Bushaltestelle gingen. »Hält er sich für eine Art Guru oder so etwas? Ich mag ihn nicht!«
Chenxi funkelte sie an. »Es ist nicht wichtig, ob du ihn mögen oder nicht. Er ist sehr groÃer Mann. Für mich, gröÃter Mann von ganz China!«
»Also wer ist er?«, wiederholte Anna ihre Frage.
»Wir ihn nennen âºAlter Wolfâ¹.« Chenxi lächelte vor sich hin. »Er ist Herz von Kunst in China. Ohne ihn geben es keine wahren Künstler. Er ist unsere Freiheit.«
Anna runzelte die Stirn. Sie hatte Chenxis kryptische Antworten satt. Es war schwer, überhaupt irgendetwas in China zu verstehen. Lag das nur an der Sprache, oder war da noch etwas anderes? Sie war das alles so leid.
Na ja, sagte sie sich, es dauerte ja nur noch eine Woche, und dann würde sie wieder nach Melbourne zurückkehren. Dann war sie wieder in ihrer eigenen Welt, in ihrer sauberen, ruhigen, vertrauten Stadt, wo das Leben so einfach war und die Frage, welche Jeans sie anziehen sollte, für sie und ihre Freunde das Problem des Tages darstellte.
Sie hatte den Lärm satt und auch die Luftverschmutzung. Sie hatte es satt, begafft und angefasst zu werden. Sie war es leid, die Ausländerin zu sein. Aber am meisten war sie die Bemühungen leid, Chenxi zu verstehen. Allein der Versuch war eine idiotische Idee gewesen.
Sie schaute ihn jetzt an, während sie sich durch den überfüllten Bus schoben, und merkte, wie sehr sie sich über ihn ärgerte.
Dicht gedrängt standen sie in dem schaukelnden Bus, ohne ein Wort zu sagen. Noch vor wenigen Stunden hätte Anna alles dafür gegeben, Chenxi so nahe zu sein. Jetzt war sie bloà verschwitzt und schlecht gelaunt. Der Geruch der schweiÃnassen Körper verursachte ihr Ãbelkeit. Chinesen rochen anders.
An der Bushaltestelle, an der sie aussteigen mussten, zwängten sich Anna und Chenxi gerade aus der Tür, als an der gegenüberliegenden Haltestelle ein anderer Bus vorfuhr.
»Beeilen dich!«, rief Chenxi. »Schnell! Das ist unser Bus!« Er rannte über die
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