Shannara I
man hatte sich nicht bemüht, Zahl oder Richtung zu verbergen. Menion schätzte, daß wenigstens einige tausend Mann vor wenigen Tagen hier vorbeigezogen waren. Die Fußabdrücke stammten von Gnomen und Trollen - offenbar Teile der Horden, die der Dämonen-Lord ausgeschickt hatte. Für Allanon stand nun fest daß sich auf den Ebenen über Callahorn eine riesige Armee sammelte, um durch das Südland vorzustoßen und die freien Länder und ihre Armeen zu trennen. Die Fährte war durch die Vereinigung mit vielen Trupps so unübersichtlich geworden, daß man nicht mehr erkennen konnte, ob sich irgendwo eine kleine Gruppe abgespalten hatte. Shea und das Schwert hätte an irgendeiner Stelle in eine andere Richtung gebracht worden sein können, ohne daß ihre Freunde das zu erkennen vermochten.
Sie gingen den ganzen Tag nach Süden und machten nur selten kurz Rast, bemüht, die große Marschsäule einzuholen. Die Fährte der Invasionsarmee war so deutlich, daß Menion nur noch von Zeit zu Zeit gewohnheitsmäßig auf den staubigen Boden blickte. An die Stelle der nackten Streleheim-Ebene trat grünes Grasland. Flick kam es beinahe so vor, als seien sie wieder auf dem Heimweg, und als ob hinter dem nächsten Berg die vertraute Heimat auftauchen müßte. Sie waren von Callahorn noch einiges entfernt, aber unverkennbar ließen sie das trostlose Nordland hinter sich und gelangten in das Grün und die Wärme ihrer Heimat. Der Tag verging schnell, und das Gespräch zwischen den Wanderern lebte wieder auf. Auf Flicks Drängen erzählte Allanon vom Rat der Druiden. Er berichtete in Einzelheiten von der Geschichte des Menschen seit den Großen Kriegen und erläuterte, wie ihre Rasse zu ihrer jetzigen Daseinsform gelangt war. Menion sagte wenig, hörte zu und achtete auf die Umgebung.
Anfangs war die Sonne hell und warm, der Himmel klar gewesen. Am Nachmittag änderte sich das Wetter rasch, graue, tiefhängende Regenwolken zogen sich zusammen, die Luft wurde schwul und feucht. Es gab kaum Zweifel, daß ein Gewitter bevorstand. Sie waren inzwischen in der Nähe der Südgrenze des Undurchdringlichen Waldes, und die schroffen Gipfel der Drachenzähne wurden am dunklen Horizont im Süden sichtbar. Von der großen Armee, die ihnen vorauszog, war immer noch nichts zu sehen, und Menion begann sich zu fragen, wie weit nach Süden sie schon vorgestoßen sein mochte. Sie selbst hatten es nicht mehr weit bis zur Grenze von Callahorn, das unmittelbar hinter den Drachenzähnen lag. Wenn die Armeen aus dem Norden Callahorn bereits erobert hatten, war das Ende wahrhaftig gekommen. Das graue Licht des Nachmittags verblaßte, und der Himmel färbte sich dunkel.
Es dämmerte, als sie das Dröhnen aus der Nacht aufsteigen hörten, widerhallend von den Riesengipfeln vor ihnen. Menion erkannte es sofort - er hatte das in den Wäldern des Anar schon gehört. Es war das Geräusch von Hunderten Gnomentrommeln, deren Rhythmus in der stillen, feuchten Luft vibrierte und die Nacht mit unheimlicher Spannung erfüllte. Die Erde erzitterte unter dem Getrommel, und alles Leben war vor Furcht und Vorahnung verstummt. Menion erkannte, daß es viel mehr Trommeln waren als zuletzt am Jade-Paß. Die drei Männer eilten weiter, eingehüllt in das hallende Dröhnen. Die grauen Wolken des Spätnachmittags bedeckten noch immer den nächtlichen Himmel, und die drei sahen sich von tintiger Dunkelheit umgeben. Menion und Flick fanden den Weg nicht mehr allein, aber der Druide führte sie mit unheimlicher Sicherheit in das rauhe Tiefland unterhalb von Paranor. Keiner sagte etwas, jeder war erfaßt von äußerster Anspannung. Sie wußten, daß das feindliche Lager vor ihnen lag.
Dann veränderte sich die Landschaft abrupt. An die Stelle der niedrigen Hügel und des Buschwerks traten steile Hänge, übersät mit Felsblöcken und gefährlichen Felssimsen. Allanon schritt unbeirrt weiter, seine hohe Gestalt unübersehbar selbst in der fast undurchdringlich gewordenen Dunkelheit, und die beiden anderen folgten ihm gehorsam. Menion vermutete, daß sie die kleineren Berge und Vorberge oberhalb der Drachenzähne erreicht hatten und daß Allanon diesen Weg gewählt hatte, um zufällige Begegnungen mit Soldaten der Nordland-Armee zu vermeiden. Wo sich das feindliche Lager genau befand, war immer noch nicht auszumachen, aber dem Trommelklang nach mußte es sich unmittelbar in ihrer Nähe befinden. Sie tappten fast eine Stunde lang zwischen Felsblöcken und Büschen dahin, die Kleidung
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