Shannara I
zwei Welten existierte, mit scheinbar unbezwingbarer Macht. Aber nun zwang das Schwert ihn, sich als das zu erkennen, was er in Wirklichkeit war - eine verrottete, leblose Hülle, aufrechterhalten nur durch einen irrigen Glauben an seine eigene Wirklichkeit, nichts als Schein, eine Vorspiegelung, allein von Willenskraft geschaffen, so flüchtig wie das körperliche Wesen, das zu sein er vorgab. Es war eine Lüge, die in den Ängsten und Zweifeln sterblicher Menschen existiert hatte und gediehen war, eine Lüge, die er geschaffen hatte, um die Wahrheit zu verhüllen. Aber nun war die Lüge entblößt.
Shea Ohmsford hatte die Gebrechlichkeiten und Schwächen akzeptieren können, die Teil seiner menschlichen Natur waren, wie bei allen Menschen. Der Dämonen-Lord dagegen konnte niemals hinnehmen, was das Schwert offenbarte, weil es die Wahrheit war, dass das Wesen, für das er sich hielt, schon vor fast tausend Jahren aufgehört hatte zu existieren. Alles, was von Brona geblieben war, entpuppte sich als Lüge, und nun wurde auch sie ihm von der Macht des Schwertes genommen.
Er schrie ein letztes Mal auf, ein Wimmern des Protestes, das klagend durch die Zelle hallte und sich mit dem anschwellenden Triumphschrei des vielstimmigen Rachechors vermischte. Dann erstarb jeder Laut. Der ausgestreckte Arm begann zu verdorren und zu Staub zu zerfallen. Asche rieselte von der erbebenden Gestalt, als der Leib unter den Gewändern sich auflöste. Die roten Lichter im verblassenden grünen Nebel leuchteten noch einmal auf und erloschen. Das Gewand sank in sich zusammen und fiel leer auf den Boden, die Kapuze obenauf.
Einen Augenblick später begann Shea zu schwanken. Zu viele Empfindungen hatten an seinen Nerven gezerrt, zu viel Anspannung über zu lange Zeit hinweg forderte ihren Preis. Der Boden unter seinen Füßen schien zu kippen, und er stürzte in die Dunkelheit hinein.
In Tyrsis erreichte der lange, schreckliche Kampf zwischen erdgebundenen Sterblichen und Geisterwesen mit schockierender Plötzlichkeit seinen Höhepunkt. Tief im felsverkrusteten Inneren begann die Erde zu grollen, und die Druckwellen breiteten sich in gleichmäßigen, bedrohlichen Stößen aus. Auf den niedrigen Hügeln östlich von Tyrsis mühten sich die Elfen-Reiter verzweifelt, ihre scheuenden Pferde zu beruhigen, und Flick Ohmsford starrte verwirrt ins Leere, als das Land ringsum sich aufzubäumen begann. Auf der Innenmauer wehrte die riesige, unbezwingbare Gestalt Balinors einen Ansturm nach dem anderen ab, als die Nordland-Armee vergeblich versuchte, die Verteidigungslinie zu durchbrechen, und mehrere Minuten lang blieben die Erdstöße im allgemeinen Getümmel unbemerkt. Auf der Brücke von Sendic hielten die vorrückenden Trolle an und schauten sich unsicher um, als das Grollen immer lauter wurde. Menion Leah zuckte zusammen, als lange Risse im Boden auftauchten, und die Verteidiger der Brücke machten sich bereit zur Flucht. Die starken Vibrationen nahmen zu und steigerten sich mit erschreckender Gewalt zu einer gigantischen Folge krachender Stöße, die Erde und Gestein in Bewegung brachten. Der Wind stürzte sich mit ungeheurer Wut auf das Land und zerstreute die Elfen-Armee, die Tyrsis entgegenstürmte. Von Culhaven im Anar bis zu den fernsten Winkeln des riesigen Westlandes heulte der Sturmwind. Riesige Bäume wurden umgerissen, ganze Felsformationen donnerten herab und zerfielen zu kleinerem Gestein, als die ungeheure Kraft von Wind und Erdbeben die vier Länder erfasste. Der Himmel war von undurchdringlichem Schwarz - sonnenlos und leer, so, als sei der Himmel mit einem einzigen breiten Pinselstrich ausgelöscht worden. Riesige, gezackte Blitzstrahlen von finsterem Rot zuckten durch die Dunkelheit und umspannten den Himmel von Horizont zu Horizont in einem unfassbaren Geflecht elektrischer Energie. Es war das Ende der Welt. Es war das Ende allen Lebens. Der Untergang, der seit Anbeginn des gesprochenen Wortes prophezeit war, stand bevor.
Aber einen Augenblick später war es vorbei; schlagartig herrschte allumfassende Stille. Sie lastete über allem, bis aus der undurchdringlichen Schwärze klagende Schreie drangen, die bald zu gellendem, qualvollem Gebrüll auswuchsen. In Tyrsis war der Kampf zum Erliegen gekommen. Die Männer aus Nord und Süd verfolgten entsetzt, wie die Schädelträger gleich gestaltlosen Gespenstern zum Himmel aufschwebten, geschüttelt von unaussprechlicher Todesqual, sich verrenkend und kreischend. Sie hingen
Weitere Kostenlose Bücher