Shannara II
den Korridor hinunter, der zum Studierzimmer seines Vaters führte. Er hatte einen harten Tag hinter sich, und die beharrliche Weigerung seines Bruders, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, machte die Dinge nicht einfacher, sie setzten ihm arg zu. Seit er sich im Hohen Rat für Amberle entschieden hatte, war es so. Die Kluft, die immer schon zwischen ihnen bestanden hatte, hatte sich zu einem Abgrund geweitet, der sich nicht mehr überbrücken ließ. Die letzte Begegnung mit seinem Bruder hatte das wieder deutlich offenbart. Von seinem Vater beauftragt, die Unterlagen zu beschaffen, die er jetzt bei sich trug, hatte er sich an Arion gewandt, da diesem die Verantwortung für die Mobilmachung und die Ausrüstung des Elfenheeres übertragen worden war. Arion hätte ihm Stunden an Arbeit ersparen können, doch er hatte sich geweigert, auch nur mit ihm zu sprechen, hatte statt seiner einen jungen Offizier geschickt und sich den ganzen Tag nicht blicken lassen. Dieses Verhalten hatte Andor so erzürnt, daß er nahe daran gewesen war, mit Gewalt eine Konfrontation herbeizuführen. Doch in eine solche Auseinandersetzung wäre womöglich auch ihr Vater hineingezogen worden, und der alte König hatte in diesen Tagen schon Sorgen genug. Nur um seinen Vater zu schonen, hatte Andor die Sache auf sich beruhen lassen. Solange die Dämonenhorden das Elfenreich bedrohten, mußten persönliche Dinge zurückstehen.
Er schüttelte den Kopf. Das war zwar vernünftig, aber besser fühlte er sich deshalb nicht.
Vor dem Studierzimmer angekommen, blieb er stehen und stieß die Tür mit der Fußspitze auf. Um seines Vaters willen zwang er sich beim Eintreten zu einem aufmunternden Lächeln. Dann ließ er sich müde in einen Sessel sinken.
»Das ist alles«, sagte er und reichte seinem Vater die Unterlagen.
Eventine legte die Papiere zu den Landkarten auf dem Tisch und musterte seinen Sohn.
»Du siehst müde aus.«
Andor erhob sich und reckte sich. »Das bin ich auch…«
Plötzlich flog eine der hohen Fenstertüren auf, und ein Windstoß fuhr fauchend ins Zimmer. Vater und Sohn wirbelten herum, während Landkarten und Listen knisternd zu Boden flatterten und die Öllampen flackerten. Allanon stand in der Tür. Seine schwarzen Gewänder glänzten feucht, und kleine Wasserbäche rannen von ihnen herab auf den Boden des Studierzimmers. Die kantigen Züge waren starr und abgespannt, die schmale Linie des Mundes hart. In den Händen hielt der Druide einen schlanken hölzernen Stab, der wie Silber glänzte.
Für einen Moment begegneten sich die Blicke des Elfenprinzen und des Druiden, und Andor spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Etwas Schreckliches lag im Ausdruck des Druiden, grimmige Entschlossenheit und Machtbewußtsein, eine Vorahnung von Tod und Verderben.
Der Druide wandte sich um und schloß die hohe Tür gegen Wind und Regen. Als er sich dem König und seinem Sohn wieder zuwandte, sah Andor, was es für ein silberner Stab war, den der Druide da in den Händen hielt, und sein Gesicht wurde totenbleich.
»Allanon, was habt Ihr getan!« Die Worte sprangen ihm über die Lippen, noch ehe er überlegen konnte.
Auch sein Vater erkannte es jetzt und stieß einen unterdrückten Entsetzensschrei aus.
»Der Ellcrys! Druide, Ihr habt von dem lebenden Baum einen Ast abgeschnitten!«
»Nein, Eventine«, entgegnete der große Alte leise. »Nicht abgeschnitten. Ich habe dem, der das Leben dieses Landes bedeutet, keine Verletzung zugefügt. Das würde ich nie tun.«
»Aber der Stab - « entgegnete der König und streckte so abwehrend die Hände aus, als verlange man von ihm, glühendes Feuer zu berühren.
»Er ist nicht abgeschnitten«, wiederholte Allanon. »Seht es Euch genau an.«
Er hielt dem König den Stab hin und drehte ihn langsam. Andor und sein Vater neigten sich ganz nahe heran. Beide Enden des Stabes waren glatt und gerundet. Nirgends war ein Riß im Holz zu sehen, nirgends eine Wunde, die von einer Klinge herrührte. Der Stab war völlig frei von Narben und Verletzungen.
Eventine blickte den Druiden voller Verwirrung an.
»Aber wie -?«
»Der Stab wurde mir übergeben, König der Elfen - übergeben vom Ellcrys selbst, als Waffe gegen die Feinde, die sein Volk und sein Land bedrohen.« Die Stimme des Druiden war so kalt, daß die Luft in dem kleinen Zimmer unter ihrem Klang zu gefrieren schien. »Hier ist eine Zauberkraft, um das Elfenheer zu stärken, damit es dem Bösen, das in den Dämonen lebt, widerstehen
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