Shannara II
jemanden, der nicht schon einmal von der Freitruppe gehört hatte, der berühmtesten und umstrittensten Einheit, die der Grenzlegion von Callahorn angehörte. Ihr Name beruhte auf dem Versprechen, das jenen gegeben wurde, die sich dieser Einheit anschlossen - daß sie, ohne Fragen fürchten zu müssen, ohne Erklärungen abgeben zu müssen, alles hinter sich lassen konnten, was bis zu ihrem Eintritt in die Freitruppe Teil ihres Lebens gewesen war. Die meisten hatten viel zurückzulassen. Sie kamen aus verschiedenen Ländern, und jeder hatte eine andere Geschichte, doch die Gründe, weshalb sie kamen, waren einander ähnlich. Es waren Diebe unter ihnen, Mörder und Betrüger, Deserteure, Männer von niederer Geburt und von hoher, Männer von Ehre und Ehrlose, Männer, die auf der Suche waren, Männer, die auf der Flucht waren - alle jedoch hatten sie eines gemeinsam: Sie wollten dem entkommen, was sie waren, sie wollten vergessen, was sie gewesen waren, sie wollten von vorn anfangen. Bei der Freitruppe wurde ihnen diese Chance gegeben. Kein Soldat der Freitruppe wurde je nach seiner Vergangenheit gefragt; sein Leben begann an dem Tag, an dem er zu der Truppe stieß. Was vorher gewesen war, war abgeschlossen; nur die Gegenwart war von Bedeutung und das, was einer aus sich machte, solange er bei der Truppe diente.
Meist war diese Zeitspanne kurz. Die Freitruppe war die Stoßtruppe der Legion; als solche wurde sie als entbehrlich betrachtet. Ihre Soldaten ritten als erste in die Schlacht und starben als erste. Bei jeder Auseinandersetzung seit Gründung der Freitruppe vor etwa dreißig Jahren waren ihre Verlustzahlen stets am höchsten gewesen. Ihre Soldaten konnten zwar die Vergangenheit hinter sich lassen, handelten sich jedoch dafür eine höchst ungewisse Zukunft ein. Doch die meisten fanden, das sei ein fairer Tausch. Im Leben hatte schließlich alles seinen Preis, und dieser Preis war nicht zu hoch. Er war, im Gegenteil, den Soldaten, die ihn bezahlten, eine Quelle des Stolzes; er verlieh ihnen ein Gefühl von Bedeutung, eine Identität, die sie unter allen übrigen Soldaten der Vier Länder heraushob. Es gehörte zur Tradition der Freitruppe, daß ihre Soldaten den Tod in der Schlacht fanden. Die Männer der Freitruppe fürchteten das Sterben nicht; der Tod gehörte zu ihrem täglichen Leben, und sie betrachteten ihn wie einen alten Bekannten, mit dem sie mehr als einmal in Tuchfühlung gekommen waren. Nein, das Sterben war nicht wichtig; wichtig war nur, heldenhaft zu sterben.
Sie hatten ihren Mut und ihre Tapferkeit oft genug unter Beweis gestellt. Jetzt, so schien es, waren sie nach Arborlon gesandt worden, um sie von neuem zu beweisen.
Vor dem schmiedeeisernen Tor machte die Kompanie halt, und ein hochgewachsener Mann, der an der Spitze des Zuges ritt, schwang sich von seinem Pferd. Nachdem er die Zügel einem anderen Reiter übergeben hatte, schritt er dem Elfenprinzen entgegen. Vor ihm blieb er stehen und zog den breitkrempigen Hut.
»Ich bin Stee Jans«, sagte er, sich verneigend, »der Befehlshaber der Legionsfreitruppe.«
Aufs höchste erstaunt über die Erscheinung des Befehlshabers, antwortete Andor nicht gleich. Groß und mächtig wie ein Turm stand Stee Jans vor dem Elfenprinzen. Sein von Wind und Wetter gegerbtes, dennoch jugendliches Gesicht war von zahllosen Narben bedeckt. Rostrotes Haar fiel dem Befehlshaber in festgeflochtenen Zöpfen auf die Schultern. In einem Ohr blinzelte ein großer goldener Ring. Nußbraune Augen, so hart, daß sie wie aus Stein gemeißelt schienen, fixierten den Elfenprinzen.
Andor ertappte sich dabei, daß er diesen Mann entgeistert anstarrte, und faßte sich hastig.
»Ich bin Andor Elessedil - Eventine ist mein Vater.«
Er streckte dem anderen zum Gruß die Hand entgegen. Der Druck von Stee Jans’ schwieliger, knorriger Hand war eisenhart. Andor entzog ihm rasch die seine und blickte die lange Reihen grauer Reiter hindurch. Doch vergebens suchte er nach anderen Einheiten der Legion.
»Der König hat mich gebeten, Euch in seinem Namen willkommen zu heißen und Euch ein angemessenes Quartier zu beschaffen. Wann können wir die anderen Einheiten erwarten? «
Ein dünnes Lächeln glitt über das narbige Gesicht des Befehlshabers.
»Es kommen keine anderen Einheiten, Herr. Nur die Soldaten der Freitruppe.«
»Nur die - « Andor brach verwirrt ab. »Und wie viele sind Euer, Befehlshaber?«
»Sechshundert.«
»Sechshundert!« Es gelang Andor nicht, seine
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