Shannara II
bedächtig sein Haupt.
»Du kannst dir deine Heimat wählen und du kannst dir dein Volk wählen. Nicht immer aber deine Pflichten. Sie werden dir manchmal auferlegt, ohne daß dir eine Wahl bleibt. Und so ist es in dieser Sache, Elfenmädchen. Du bist die letzte der Erwählten; du bist die letzte Hoffnung der Elfen. Du kannst vor deiner Verantwortung nicht davonlaufen; du kannst dich nicht vor ihr verstecken. Und du kannst nichts daran ändern.«
Amberle sprang auf, tat unentschlossen ein paar Schritte, kam wieder zurück.
»Ihr begreift nicht.«
Allanon betrachtete sie. »Ich begreife besser als du glaubst.«
»Wenn dem so wäre, würdest du von mir nicht verlangen, daß ich zurückkehre. Als ich aus Arborlon fortging, wußte ich, daß ich nie wieder zurückkommen würde. In den Augen meiner Mutter, meines Großvaters und meines Volkes hatte ich Schimpf und Schande auf mich geladen. Ich tat etwas Unverzeihliches - ich wies das Geschenk zurück, in den Kreis der Erwählten aufgenommen zu werden. Selbst wenn ich es wünschte - und ich wünsche es nicht! - ließe sich das nicht ungeschehen machen. Die Elfen sind ein Volk mit einem tief verwurzelten Gefühl für Tradition und Ehre. Niemals können sie das, was geschehen ist, akzeptieren. Selbst wenn ihnen gesagt würde, daß sie alle zugrunde gehen werden, wenn nicht ich - und ich allein! - sie rette, würden sie mich nicht wieder in ihrem Kreis aufnehmen wollen. Ich bin eine Ausgestoßene, und nichts vermag daran etwas zu ändern.«
Nun richtete sich auch der Druide auf. Groß und dunkel stand er vor der zierlichen kleinen Gestalt. Der Blick seiner Augen war beängstigend.
»Töricht sind deine Worte, Elfenmädchen, und hohl deine Einwände. Du sprichst ohne Überzeugungskraft. Das paßt nicht zu dir. Ich weiß, daß du mehr Stärke besitzt, als du gezeigt hast.«
Die Worte trafen. Amberle fuhr hoch.
»Was wißt Ihr schon von mir, Druide? Nichts!« Die grünen Augen sprühten vor Zorn, als sie dicht vor ihn hintrat. »Ich bin Lehrerin. Ich unterrichte Kinder. Einige von ihnen habt Ihr heute abend gesehen. Sie kommen in kleinen Gruppen zu mir und verbringen einen Sommer unter meinem Dach. Sie werden mir von ihren Eltern anvertraut. Ich trage die Verantwortung für sie. Während sie in meinem Hause leben, vermittle ich ihnen das Wissen von den lebendigen Dingen dieser Erde. Ich lehre sie Liebe und Achtung vor der Welt und ihrer Kreatur, in die sie hineingeboren sind - ich lehre sie Verständnis für diese Welt und alle Wesen, die auf ihr leben. Ich lehre sie, Leben zu geben für das Leben, das ihnen gegeben wurde; ich lehre sie, solches Leben zu nähren. Wir beginnen ganz einfach, wie in diesem Garten. Und zum Schluß gelangen wir bis zu den komplexen Zusammenhängen, die das menschliche Leben umgeben. Das, was ich tue, tue ich mit Liebe. Ich bin ein einfacher Mensch mit einer schlichten Gabe, die ich mit anderen teilen kann. Die Erwählten aber teilen nichts mit anderen! Ich war nie eine Erwählte - nie! Ich wurde dazu berufen, obwohl es nicht mein Wunsch war, obwohl ich nicht geeignet war, dieses Amt zu erfüllen. All das habe ich hinter mir gelassen. Dieses Dorf und seine Bewohner sind der Mittelpunkt meines Lebens. Hier bin ich die, die ich bin. Hier gehöre ich hin.«
»Vielleicht.« Die Stimme des Druiden war ruhig und gelassen, wie unberührt von ihrer zornigen Erregung. »Und aus keinem besseren Grund willst du die Elfen im Stich lassen? Ohne dich müssen sie zugrunde gehen. Sie werden kämpfen wie damals in der alten Welt, als die Mächte des Bösen sie das erste Mal bedrohten. Aber diesmal fehlen ihnen die magischen Kräfte, ihnen Stärke zu verleihen. Sie werden vernichtet werden.«
»Diese Kinder sind mir anvertraut worden - « begann das Mädchen hastig von neuem, doch mit einer brüsken Bewegung hob Allanon die Hand.
»Was glaubst du wohl, wird geschehen, wenn die Elfen erst vernichtet sind? Glaubst du, die Bösen werden sich damit zufriedengeben, innerhalb der Grenzen des Westlandes zu bleiben? Was soll dann aus den Kindern werden, die dir anvertraut sind, Elfenmädchen?«
Einen Augenblick starrte Amberle ihn betroffen und schweigend an. Dann sank sie langsam wieder auf der Bank nieder. Tränen strömten ihr aus den Augen, und sie drückte die Lider fest zu.
»Warum wurde ich erwählt?« fragte sie leise, flüsternd beinahe. »Es gab keinen Grund dafür. Ich habe das Amt nicht gesucht -, und es waren so viele andere da, die danach strebten.«
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