Shannara V
am Rande der Gärten des Lebens, nahe der Stelle, wo der Ellcrys wuchs. Der uralte Baum strebte himmelwärts, als wolle er sich durch den Vog kämpfen und die saubere Luft einatmen, die darüber versiegelt lag. Seine silbernen Zweige schimmerten schwach im Licht der Laternen und Fackeln, und scharlachrote Blätter reflektierten das dunklere Glühen des Vulkans. Verstreute Funken tanzten in seltsamen Mustern zwischen den Bäumen hindurch, als wollten sie ein Bild formen. Sie beobachtete, wie die Bilder auftauchten und verblaßten, ein Spiegel ihrer Gedanken und der Traurigkeit, die sie zu überwältigen drohte.
Was soll ich tun? dachte sie. Welche Wahl bleibt mir? Keine, wie sie wußte. Keine. Sie konnte nur warten.
Sie war Ellenroh Elessedil, die Königin der Elfen, und alles, was sie tun konnte, war warten.
Sie umklammerte fest den Ruhkstab und schaute mit verzweifeltem Gesicht gen Himmel. Diese Nacht waren keine Sterne und kein Mond zu sehen. Seit Wochen war von beidem wenig zu sehen gewesen, nur der Vog war allgegenwärtig, dick und undurchdringlich, ein Leichentuch, das nur darauf wartete, sich auf sie zu senken, ihre Körper zu bedecken, sie alle zu umschließen und für immer einzuhüllen.
Sie stand wie erstarrt da, als ein heißer Windzug über sie hinwegblies und das edle Leinen ihrer Kleidung kräuselte. Sie war groß und langbeinig, und ihr Körper war kantig. Ihre Gesichtsknochen standen hervor und formten Züge, die man sofort wiedererkennen würde. Ihre Wangenknochen waren hochliegend, ihre Stirn breit und ihr Kiefer scharf geschnitten und glatt unter einem breiten, dünnen Mund. Ihre Haut war fest über ihr Gesicht gespannt, was ihr das Aussehen einer Skulptur verlieh. Flachsblondes Haar fiel in dichten, ungebändigten Locken auf ihre Schultern. Ihre Augen waren von einem seltsamen, stechenden Blau und schienen beständig Dinge zu sehen, die für andere nicht gleich erkennbar waren. Sie wirkte jung für ihre über fünfzig Jahre. Wenn sie lächelte, und das geschah oft, brachte sie auch die Gesichter anderer fast mühelos zum Lächeln.
Doch jetzt lächelte sie nicht. Es war spät, weit nach Mittenacht, und ihre Sorgen waren wie eine Kette, die sie gefangen hielt. Sie hatte nicht schlafen können und war in die Gärten gekommen, um spazierenzugehen, in die Nacht zu lauschen, allein zu sein mit ihren Gedanken und zu versuchen, ein winzig kleines Stück Frieden zu finden. Aber der Frieden entzog sich ihr immer wieder, und ihre Gedanken waren kleine Dämonen, die sie verspotteten und sie neckten. Die Nacht war eine große, hungrige, schwarze Wolke, die geduldig auf den Moment wartete, wo sie schließlich ihre schwachen Lebenslichter auslöschen würde.
Feuer, erneut. Feuer, das Leben gab, und Feuer, das es wieder nahm. Das Bild drängte sich ihr heimtückisch immer wieder auf.
Sie wandte sich abrupt um und begann durch die Gärten zu wandern. Cort folgte ihr, sie spürte seine schweigende, unsichtbare Präsenz. Wenn sie sich die Mühe machte, ihn zu erkennen, würde er verschwunden sein. Sie konnte ihn sich im Geiste vorstellen, den kleinen stämmigen Jungen mit seiner unglaublichen Schnelligkeit und Kraft. Er war Mitglied der Leibgarde, der Beschützer der Elfenherrscher, eine jener Waffen, die sie verteidigten, eines jener Leben, die zur Erhaltung ihrer eigenen geopfert worden waren. Cort war ihr Schatten, und wenn nicht Cort, dann Dal. Der eine oder der andere war immer da und beschützte sie. Während sie den Weg entlangging, glitten ihre Gedanken schnell dahin, einer nach dem anderen. Sie spürte die Unebenheiten des Bodens durch den dünnen Stoff ihrer Schuhe. Arborlon, die Stadt der Elfen, ihre Heimat, die vor mehr als hundert Jahren aus dem Westland fortgebracht worden war - hierher, an diesen…
Sie ließ den Gedanken in der Luft hängen. Ihr fehlten die Worte, ihn zu Ende zu bringen.
Elfenmagie, aus der Feenzeit wieder heraufbeschworen, schützte die Stadt, aber die Magie begann nachzulassen. Die ineinander verschmelzenden Wohlgerüche der Blumen des Gartens wurden dort, wo sie über die äußere Grenze des Keel hinaus drangen, von den beißenden Gerüchen der Killeshan-Gase überlagert. Nachtvögel sangen zart in den Bäumen und Sträuchern, aber selbst hier wurden ihre Gesänge von den gutturalen Klängen der dunklen Wesen überlagert, die hinter den Mauern der Stadt in den Dschungeln und Sümpfen lauerten. Die den Keel bedrängten und abwarteten.
Die Monster.
Der Pfad, dem sie
Weitere Kostenlose Bücher