Shannara V
seien sie blind, denn sie mußten sich ihren Weg durch die Dunkelheit erspüren.
»Stresa! Wie weit noch?« rief Wren durch das Schrillen der Stimmen, die um ihre Ohren wirbelten.
»Sppt! Jetzt ist es nicht mehr weit«, kam Stresas Antwort. »Es ist direkt vor uns.«
Sie stiegen in eine besonders tiefe Schlucht hinab, die aussah, als habe ein gezacktes Messer die Oberfläche des Lavagesteins durchschnitten. Sie war voller Schatten und waberndem Dunst. Wren wußte, daß es gefährlich war, und hätte die anderen beinahe zurückgerufen, doch sie sah auch, daß dies der direkte Weg nach draußen war, daß es der einzige Weg war, den sie nehmen konnten. Sie stieg in die Dunkelheit hinab und hielt den Ruhkstab vor sich wie einen Schild. Faun schnatterte wild auf ihrer Schulter. Das war ein weiteres Geräusch, das sich mit den anderen, den unsichtbaren Stimmen vermischte, die dröhnten und tobten und sie immer mehr dahin trieben, daß sie das Bedürfnis hatte, laut zu schreien. Sie sah Triss vor sich und Stresa als schwachen, dunklen Fleck dahinter. Sie hörte Schritte hinter sich, jemanden, der folgte, die anderen…
Und dann ergriffen sie plötzlich Hände, erschreckend und so hart wie Eisen. Sie kamen aus dem Nichts, wurden auf einmal im Nebel sichtbar, schlossen sich um ihre Beine und Knöchel und rissen sie vom Weg fort. Sie schrie entsetzt auf und schlug mit dem Ende des Ruhkstabes nach unten. Weißes Feuer brach aus der Erde hervor und loderte in alle Richtungen, und die Magie des Elfensteins reagierte. Es erschreckte und bestürzte sie, daß die Magie so leicht hervorkommen konnte. Sie hörte die Rufe der anderen, ihre Warnschreie. Wren wirbelte wild herum, und die Hände, die sich an sie geklammert hatten, fielen ab. Etwas bewegte sich im Nebel - Dutzende, gesichtslos und gestaltlos und Wesen. Die Drakuls waren aus irgendeinem Grunde wach, erkannte sie. Obwohl sie es nicht sein sollten. Vielleicht war es hier in diesem Einschnitt verhangen und düster genug, um als Nacht zu gelten. Sie warnte die anderen, rief sie zu sich und führte sie auf den fernen Abhang der Schlucht zu. Die Gestalten wirbelten überall um sie herum, griffen nach ihnen und suchten sie zu berühren. Es waren Nichtwesen, und doch waren sie irgendwie real. Sie sah des Lebens beraubte Gesichter, die blasse Abbildungen waren ihres eigenen, leere und blinde Augen, Zähne, die wie die Fänge von Tieren aussahen, eingesunkene Wangen und Schläfen und Körper, die zu nichts dahingesiecht waren. Sie kämpfte sich durch sie hindurch, denn sie schienen es alle auf sie abgesehen zu haben, als würden sie von ihr angezogen, als sei sie diejenige, die ihnen am wichtigsten war. Es war die Magie, erkannte sie. Wie bei allen Schattenwesen war es die Magie, die sie zuerst anzog.
Drakulgeister materialisierten sich vor ihr, und Garth ging entschlossen voran und schlug mit dem Kurzschwert zu. Die Bilder lösten sich auf, blieben aber unversehrt und bildeten sich rasch neu. Wren wirbelte herum, als sie den Grund der Schlucht erreichten. Einer, zwei… Sie zählte hastig. Sie waren noch sechs. Stresa kletterte bereits weiter, und sie wandte sich um und folgte ihm. Sie stiegen hastig den jenseitigen Abhang hinauf und bahnten sich ihren Weg über regenglattes Lavagestein und an Gestrüpp und umgestürzten Bäumen vorbei. Die Bilder folgten ihnen, die Stimmen der aus dem Schlaf emporgestiegenen Phantome, der untoten Monster, die sie verfolgten. Wren schlug sie mit Zorn und Abscheu zurück, mit heftigen Bewegungen, wobei ihr bewußt war, daß Faun an ihrem Hals hing, als sei er ein Teil von ihr geworden. Sie spürte die Hitze des Ruhkstabes in ihren Händen, dessen Magie erneut ausbrechen wollte. Es war Magie, die alles tun konnte, dachte sie düster, die alles erschaffen konnte - sogar Monster wie diese. Sie schrak bei dieser Vorstellung innerlich zurück. Der Schrecken einer Wahrheit, von der sie wünschte, daß sie niemals gewesen wäre, ergriff sie, einer Wahrheit, von der sie fürchtete, sie würde sich erheben und sie verfolgen, wenn sie ihr Versprechen, die Elfen zu retten, halten sollte.
Die sechs stolperten über den Rand der Schlucht und begannen zu rennen. Die Dunkelheit war dicht und verschob sich vor ihnen wie Schichten von Gaze, aber sie verlangsamten ihren Schritt nicht, sondern jagten achtlos weiter und riefen einander ermutigende Worte zu, während sie sich gegen ihre Verfolger zur Wehr setzten. Die Drakuls zischten und fauchten wie Katzen, und
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