Shannara V
die Bosheit ihrer Gedanken war ein Feuer, das in ihnen brannte. Und doch waren es jetzt nur Stimmen und Bilder, die nicht real waren, denn die Drakuls konnten die Dunkelheit ihres Versteckes am Tag niemals verlassen, um sich in den Harrow zu wagen. Langsam schwanden die Trugbilder, flossen zurück wie die im Gezeitenstrom zurückweichenden Wasser eines weiten Ozeans. Die kleine Gruppe begann den Schritt zu verlangsamen. Sie atmeten schwer in der plötzlichen Stille, und ihre Stiefel knirschten, als sie abrupt stehenblieben.
Wren schaute zurück in den Nebel. Es war nichts zu sehen außer dem Nebel und den schwachen Schatten des verkümmerten Landes und der dahinter liegenden Baumskelette, alles war leer und starr. Faun hob vorsichtig den Kopf. Stresa walzte keuchend mit heraushängender Zunge herüber, um sich zu ihnen zu gesellen. Der Stachelkater fauchte. »Hsssttt! Einfältige Geister!«
Wren nickte. Die Hitze des Ruhkstabes in ihren Händen ließ nach und erstarb. Sie spürte, wie ihr eigener Körper in der Luft abkühlte. Erleichterung breitete sich in ihr aus.
Doch dann drängte Garth plötzlich vorwärts, erschreckt von etwas, das ihr entgangen war, angespannt und aufmerksam, während er den Nebel absuchte. Wren folgte seinem Blick. Sie wurde ängstlich, ohne jedoch schon zu wissen, warum. Sie sah, wie sich die anderen unbehaglich anschauten.
Ihr Herz machte einen Satz. Was war falsch?
Dann sah sie es. Sie waren nur fünf. Eowen fehlte.
Zuerst hielt sie es für unmöglich und dachte, sie müßte sich irren. Sie hatte alle sechs gezählt, als sie aus der Schlucht herausgeklettert waren. Eowen war bei ihnen gewesen, sie hatte ihr Gesicht erkannt…
Sie hielt inne. Eowen. Sie sah die rothaarige Seherin im Geiste vor sich, wie sie ihnen folgte - zu blaß, zu vergänglich. Fast als sei sie nicht wirklich da - was sie ja auch nicht war. Wren spürte ein flaues Gefühl in ihrer Magengrube, einen Schmerz, der sie zu verschlingen drohte. Sie hatte nichts weiter als ein Bild gesehen, ein ausgeklügelteres und berechneteres als die anderen, ein Bild, das gestaltet worden war, um sie alle glauben zu machen, sie seien zusammen, obwohl sie es tatsächlich nicht mehr waren.
Die Drakuls hatten Eowen in ihrer Gewalt.
Garth machte ihr eilig Zeichen. Ich habe auf sie aufgepaßt, wie ich es versprochen hatte. Sie war direkt hinter uns, als wir aus der Schlucht kletterten. Wie konnte ich sie verlieren?
»Du hast sie nicht verloren«, erwiderte Wren sofort. Sie spürte eine seltsame Ruhe über sich kommen, als habe sie resigniert. Sie akzeptierte die Unvermeidlichkeit des Zufalls und des Schicksals. »Es ist in Ordnung, Garth«, flüsterte sie.
Sie spürte, wie sich der Boden unter ihr öffnete und ein Loch sich auftat, in das sie wahrscheinlich fallen würde. Sie wartete, daß das Gefühl vorbeiging und daß sie wieder Standfestigkeit erlangte. Sie wußte, was sie tun mußte. Was auch immer geschehen würde, sie konnte Eowen nicht aufgeben. Um sie zu retten, würde sie in den Harrow zurückgehen müssen, zurück unter die Drakuls. Sie konnte natürlich die anderen schicken, sie würden gehen, wenn sie sie bat. Aber das würde sie niemals tun - sie konnte es niemals auch nur in Erwägung ziehen. Denn das Wissen eines Spurenlesers, die Erfahrung eines Fahrenden, die Ausbildung eines Elfenjägers - alles das war gegen die Drakuls nutzlos. Nur eines war etwas anderes.
Sie machte ein paar unsichere Schritte und blieb dann stehen. Ihr Verstand rief ihr zu, es sich noch einmal zu überlegen. Sie bemerkte, daß die anderen nacheinander nach vorn kamen und zu ihr traten, wobei ihre Augen ihren eigenen folgten, als sie in die Dunkelheit des Harrow hinausspähte.
»Nein!« warnte Stresa. »Phffft! Es wird bereits dunkel!«
Sie beachtete ihn nicht und wandte sich statt dessen an Gavilan. Schweigend taxierte sie ihn und streckte dann den Ruhkstab aus. »Es ist an der Zeit, daß du dich wieder als mein Freund erweist, Gavilan«, sagte sie ruhig. »Nimm den Stab. Bewahre ihn bis zu meiner Rückkehr für mich auf. Hüte ihn.«
Gavilan sah sie ungläubig an und griff dann vorsichtig nach dem Talisman. Seine Hände schlossen sich darüber, legten sich fest darum und zogen ihn fort. Sie erlaubte ihren Augen nicht, den seinen zu begegnen, denn sie hatte Angst davor, was sie dort finden könnte. Er war der einzige, der von ihrer Familie übriggeblieben war. Sie mußte ihm vertrauen.
Triss und Dal hatten ihre Rucksäcke abgelegt und
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