Shannara V
hielt sie fest. Sie widerstand nur einen Moment und überließ sich ihm dann. Als sie die Augen öffnete, waren da wieder die schwarzen Gesichter, umkreisten sie in einem Kreis schwachen Lichts und näherten sich mit federleichten Berührungen. Sie sah, daß sie sich am Rande einer Schlucht befand - der Ort kam ihr bekannt vor. Wieder begann alles zu verblassen. Sie vergaß, daß sie versuchen wollte, dem Harrow zu entkommen, daß die Gesichter um sie herum etwas anderes waren, als was sie zu sein schienen. Der Dunst des Nebels kroch in ihr Bewußtsein und setzte sich dort dicht und undurchdringlich fest. Ihre Gedanken, die wie gefroren waren, schmolzen und rannen wie flüssig durch ihren Körper. Sie konnte ihre Kälte spüren. Sie war müde und war das alles so leid.
Laß los.
Ihre Hand, die die Elfensteine umklammert hielt, senkte sich, und die Gesichter um sie herum begannen Gestalt und Maß anzunehmen. Lippen berührten ihre Kehle.
Laß los.
Sie ließ ihre Augen wieder zufallen. Ihre Finger begannen sich zu öffnen. Es wäre alles so leicht. Sie mußte nur die Elfensteine fallen lassen, dann würde sie der Kette der Magie für immer entkommen.
»Hoheit!«
Der Ruf war ein gequältes Schreien, doch einen Moment lang bedeutete es nichts. Dann öffneten sich ihre Augen ruckartig, und ihr Körper spannte sich an. Der seltsame Schlaf, der sie fast überwältigt hätte, schwebte in ihrer Nähe wie ein dringliches, geflüstertes Versprechen. Durch seinen Nebel sah sie jenseits seiner Dunkelheit zwei Gestalten am Rande des Lichts kauern. Sie hielten Schwerter in den Händen, deren Metall schwach schimmerte.
»Phffft! Bewege dich nicht, Wren von den Elfen!« hörte sie einen weiteren Warnruf. Stresa.
»Bleibt, wo Ihr seid, Hoheit«, warnte der andere voller Panik. Triss.
Der Hauptmann der Leibgarde kam langsam vorwärts. Er hielt seine Waffe vor sich, die von Feuer glühte. Sie erkannte jetzt sein Gesicht, es war mager und hart und von Entschlossenheit erfüllt. Hinter ihm stand Garth, eine größere Gestalt, dunkler und rätselhaft. Vor den beiden kam der Stachelkater mit hochgestellten Stacheln.
Sie fühlte einen Eisklumpen in ihrem Magen. Was taten die beiden hier? Was war geschehen, daß sie hier waren? Sie spürte, wie eine Woge der Angst sie traf, ein Gefühl, daß etwas geschehen war und sie es nicht einmal bemerkt hatte.
Sie kämpfte gegen die Mattigkeit an, gegen den Wunsch nach Ruhe und das Flüstern des Windes und zwang sich dazu, ihre Umgebung wiederzuerkennen. Die Kälte verwandelte sich zu Eis. Das Licht, das sie umgab, strömte von den Wesen aus, die sie umgaben. Überall um sie herum waren Drakuls. Sie waren so nahe, daß sie ihren Atem spüren konnte - oder es zumindest glaubte. Sie konnte ihre toten Augen sehen, ihre unheimlichen, fast formlosen Gesichter und ihre elfenbeinfarbenen Fänge. Dutzende von ihnen waren da, drängten sich um sie und ließen nur an der Stelle, wo Triss und Garth und Stresa sich zu nähern versuchten, Platz frei wie ein Fenster in die Dunkelheit des Harrow. Ihre Hände und Finger klammerten sich an sie und hielten sie fest, wie gefesselt durch ihre Gier nach Nahrung. Sie hatten sie zu sich gelockt und sie fast bis zum Schlaf eingelullt. So hatten sie es sicher auch mit Eowen gemacht. Nachdem sie von Phantomen zu Wesen mit Substanz geworden waren, wollten sie sich nähren.
Einen Augenblick lang schwebte Wren zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Leben und Tod. Sie konnte spüren, wie sie zwischen zwei Möglichkeiten, beide sehr unterschiedlich und beide zwingend, hin- und hergerissen wurde. Die eine würde sie aus allem, was sie einlullen wollte, herausbrechen, aus diesen tödlichen Banden, die sie hielten, würde sie dazu bringen, sich in Abscheu und Zorn zu erheben und um ihr Leben zu kämpfen, denn das war, was ihr Instinkt ihr befahl. Die andere Möglichkeit war, daß sie tat, was die Windstimme ihr zugeflüstert hatte, daß sie einfach losließ, weil das der einzige Weg war, sich von der Magie zu befreien. Die Zeit gefror. Sie wog die Möglichkeiten ab, als sei sie nicht davon betroffen, und doch war es eine Entscheidung, die ihr ganzes Dasein, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft in den Mittelpunkt rückte. Sie konnte ihre Retter näher kommen sehen, und deren Gesten waren unmißverständlich. Sie konnte auch die Drakuls kaum merkbar näher kommen spüren. Nichts davon schien wichtig zu sein. Beides war eine entfernte Realität, die sich wie in
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