Shannara VII
zuging. Jerle war nicht mehr zu sehen, er war jetzt zu weit entfernt. Sie hätte ihn rufen können, aber sie entschied, es nicht zu tun. Unter Schmerzen kämpfte sie sich auf die Knie; weiter schaffte sie es nicht. Wut überkam sie. Trotzdem, es war ihre eigene Entscheidung gewesen mitzukommen. Sie sah zu, wie die Kreatur näher kam und hielt ihr Schwert schützend vor sich. Sie würde nur einen einzigen Schlag führen können, und das wäre wahrscheinlich in jedem Fall zu wenig. Sie holte tief Luft und wünschte, sie hätte genug Kraft, um zu stehen.
Der Schädelträger zischte, und seine großen, ledernen Flügel schlugen gegen seinen buckligen Rücken.
»Kleine Elfin«, flüsterte er begierig, und seine roten Augen glühten.
Er griff nach ihr, und sie holte mit dem Schwert aus.
Jerle Shannara hatte die Entfernung zwischen sich und dem Dämonenlord bis auf ein Dutzend Meter verringert. Er sah, wie sich die dunkle, verhüllte Gestalt vor ihm hin- und herbewegte und veränderte, als wäre sie ein Teil des Nebels, der um sie beide herumwirbelte. Die Glutfeuer im Innern der Kapuze brannten mit wilder Intensität. Als wäre er schwerelos, schwebte der Dämonenlord über der Erde - eine hohle, leere Hülle. Die seltsame, bezwingende Stimme fuhr fort, den Elfenkönig zu rufen.
Komm zu mir. Komm zu mir.
Jerle Shannara tat es. Er hob sein Schwert, den Talisman, den er bis zu dieser Auseinandersetzung getragen hatte, dessen Magie er aber nicht kannte und von der er nicht wußte, wie er sie anwenden sollte, und machte sich zum Kampf bereit. Während er das tat, tanzte ein heller Funke über die Oberfläche der Klinge, glitt die polierte Längsseite entlang und verschwand in seinem Körper. Er stockte, als das Licht in ihn eindrang, spürte, wie es vor Energie pulsierte. Sein Körper wurde von Wärme erfüllt, die sich von der Brust bis zu den Gliedmaßen ausbreitete. Er fühlte, wie die Wärme zum Schwert zurückkehrte, etwas von ihm mitnahm und sie beide verband, so daß er mit der Klinge eins wurde. Dies geschah so schnell, daß es vorüber war, ehe er überhaupt daran denken konnte, es aufzuhalten. Verwundert starrte er das Schwert an, das jetzt eine Verlängerung seiner selbst war, dann die dunkle Gestalt vor sich, und schließlich die jetzt langsam schwindende Welt aus Nebel und Schatten.
In diesem Augenblick stieg er tief in sein Inneres hinab, gezogen von einer Kraft, der er nicht widerstehen konnte. Er wurde immer kleiner, immer winziger, je größer die Welt wurde, und bald war er zu einem unbedeutenden Körnchen Leben in einem gewaltigen, vor Lebewesen nur so wimmelnden Universum geschrumpft. Er sah sich, wie er war, kaum mehr als Staub. Auf dem Rücken eines Windes wurde er über die gesamte Welt getragen, über all das hinweg, was war und was jemals sein würde. In einem gewaltigen Schauspiel breitete sich die Welt vor ihm aus und erstreckte sich viel weiter, als er jemals würde sehen oder gar bereisen können. So war es, erkannte er. Dies war sein Stellenwert im allumfassenden Lauf der Dinge.
Dann schien sich die Welt, über die er flog, schichtweise zu häuten, und was vorher hell und vollkommen gewesen war, wurde jetzt dunkel und fehlerhaft. In kleinen Segmenten der Offenbarung erwachten Verrat und Grauen sämtlicher Geschöpfe, die je gelebt hatten, zu neuem Leben. Jerle Shannara wich zurück vor dem Schmerz und der Bestürzung, die jedes einzelne Wesen ihn spüren ließ, und dennoch gab es kein Abwenden. Dies war die Wahrheit - die Wahrheit, von der er gewußt hatte, daß das Schwert sie ihm enthüllen würde. Er erzitterte angesichts der Tiefe, der Gewalt ihrer Wirkung. Erschrocken und voller Scham, jeglicher Illusionen beraubt, war er gezwungen, die Welt und ihre Bewohner so zu sehen, wie sie waren.
In diesem Augenblick hatte er das Gefühl, als würde er in seiner Entschlossenheit versagen. Aber die Bilder verschwanden, die Welt verdunkelte sich, und für einen Moment stand er wieder im Nebel, wie angewurzelt vor der hoch aufragenden Gestalt des Dämonenlords, während das Schwert von Shannara in weißem Licht glühte.
Hilf mir, betete er. Die Bitte richtete sich an niemanden, denn er war vollkommen allein.
Von neuem erfüllte ihn das Licht, und wieder zog sich die Welt der Nebel und Schatten zurück. Jerle stieg zurück in seine innersten Tiefen, und diesmal sah er sich der Wahrheit seines eigenen Lebens gegenüber. Mit unerbittlicher Entschlossenheit entfaltete es sich vor ihm, Bild für
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