Shannara VII
ein riesiger schwarzer Schatten aus dem Wasser und trieb die Geister wie Blätter auseinander, während seine verhüllte Gestalt Form annahm und mit einem Arm die Schwärme von Geistern zur Seite fegte, die ihm zu nahe kamen. Das Hadeshorn brodelte und kochte, überallhin spritzte Gischt, Tröpfchen landeten auf dem Gesicht und den Händen des Druiden. Walker hob schützend den Arm, und sofort wandte sich die verhüllte Gestalt ihm zu. Da sie nun mehr Platz hatte, löste sich die Schwärze ein wenig auf und wurde durchscheinender, und plötzlich war es, als könnte man durch das Fleisch die Knochen sehen. Das Wesen glitt über die brodelnde Oberfläche und nahm allen Raum ein, während es sich näherte, sog alles Licht in sich auf.
Als dieses Wesen genau über Walker war, verharrte es und hing reglos in der Luft, neigte leicht den Kopf, dessen Gesichtszüge durch die Kapuze verhüllt wurden. Flach und leidenschaftslos erfüllte die Stimme die Stille.
- Was weißt du von mir -
Walker kniete sich hin, nicht aus Angst, sondern aus Respekt.
»Allanon«, antwortete er und wartete auf die Aufforderung zu sprechen.
Weiter im Westen, wo die tiefen Wälder ihre Bewohner bedecken und beschützen wie ein Ozean das Leben unter dem Meer, näherte sich auch dem Wildewald die Dämmerung. Unter den alten Bäumen blieb das Licht stets fahl und dürftig, sogar zur Mittagszeit am hellsten Sommertag. Schatten verhüllten die Welt der Waldbewohner, und meistens gab es kaum einen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Seit langem war der Wildewald eine Wildnis, in die sich nur wenige Außenseiter vorwagten und in der nur diejenigen blieben, die dort geboren waren und die seine Härten ertragen konnten. Somit bildete der Wildewald eine Zuflucht für Wesen, denen die Abwesenheit von Licht erstrebenswert erscheint.
Die Ilse-Hexe war ein solches. Obwohl sie in einem anderen Teil der Vier Länder geboren worden war, wo sie ihre Vergangenheit im hellsten Sonnenschein verbracht hatte, hatte sie sich längst an die zwielichtige Existenz ihrer Gegenwart hier gewöhnt, ja, sie sogar schätzen gelernt. Fast ihr ganzes Leben hatte sie an diesem Ort gewohnt, genauer gesagt, seit sie fünf Jahre alt war. Der Morgawr hatte sie hergebracht, nachdem die Lakaien des Druiden ihre Eltern getötet und versucht hatten, sie zu entführen und für ihre eigenen Zwecke zu benutzen. Er hatte ihr diese Heimat geschenkt, dazu seinen Schutz und sein Wissen über die Anwendung von Magie, damit sie heranwachsen und entdecken konnte, worin ihr wahres Schicksal bestand. Die Dunkelheit, in der sie sich aufhielt, war ihr recht, doch niemals ließ sie sich zu ihrem Sklaven machen.
Manche, das wusste sie, wurden von den Dingen, die Trost spendeten, abhängig. Zu diesen würde sie niemals gehören. Abhängigkeit war etwas für Narren und Schwächlinge.
In dieser Nacht ging sie die primitive Zeichnung durch, die sie aus Kael Elessedils Erinnerung gestohlen hatte, ehe sie sich seiner entledigte, und spürte eine Regung in der Luft, welche die Ankunft des Morgawrs ankündigte. Er hatte ihre Zuflucht vor über einer Woche verlassen und nur wenig über seine Pläne gesagt. Bis zu seiner Rückkehr musste sie mit ihren eigenen Mitteln auskommen. Inzwischen war sie erwachsen, gleichermaßen in seinen wie in ihren Augen, und er fühlte nicht mehr die einstige Notwendigkeit, über sie zu wachen. Er hatte sich ihr nie anvertraut. Das hätte in fundamentaler Weise gegen seine Natur verstoßen und war undenkbar. Schließlich war er ein Hexenmeister und aus diesem Grunde einzelgängerisch und unabhängig. Schon seit sehr, sehr langer Zeit lebte er hier in seiner Zuflucht in der Senke mitten im Herzen des Wildewalds, nicht weit von dem Vorgebirge, das als Hochwarte bekannt war. Einst, so hieß es, seien diese Höhlen von den Hexenschwestern Mallenroh und Morag bewohnt gewesen, ehe die zwei sich gegenseitig vernichtet hatten. Die Ilse-Hexe wusste nicht, ob diese Geschichte der Wahrheit entsprach; der Morgawr redete nicht darüber, und sie hütete sich, ihn zu fragen.
Dunkle Magie gedieh im Wildewald, gehörte anderen Zeiten und Völkern an, einer Welt, die vor den Großen Kriegen ihre Blütezeit erlebt hatte. Magie wurzelte hier in der Erde, und der Morgawr bezog seine Kraft aus ihrer Gegenwart. Er war nicht wie sie; er war nicht für die Magie geboren. Stattdessen hatte er seine Meisterschaft durch Studium und Experiment und durch langsames, qualvolles Ertragen der Nebenwirkungen
Weitere Kostenlose Bücher