Shannara VIII
Tochter eines Politikers, die in einen Streit zwischen zwei Fraktionen geriet, wurde inhaftiert, obwohl ihre Weisheit die Auseinandersetzung hätte beenden können. Kinder wurden verschleppt und verschwanden in fremden Ländern, damit jene, die ihr gehorchten, Kontrolle über die gramerfüllten Eltern gewannen. Gnomen-Stämme, deren heiligen Boden sie für den Morgawr enteignete, gaben Zwergen die Schuld, woraufhin zwischen ihnen Feindseligkeiten ausbrachen. Wie das Kräuseln, das ein Stein verursacht, der in stilles Wasser fällt, rief ihr selbstsüchtiges Handeln Resultate hervor, die weit über die ursprünglich beabsichtigten Auswirkungen hinaus immer weitere Kreise zogen.
Währenddessen spürte sie den Morgawr, der aus der Ferne zusah, eine stille Präsenz, die die Ergebnisse der Falschheit, der Lügen und der Täuschungen genoss. Er verfügte über sie wie eine Marionette und zog die Fäden. Er lenkte ihre Wut und ihre Enttäuschung, und er ließ sie niemals vergessen, wer dafür verantwortlich war. Alles tat sie nur, weil sie den Druiden Walker zerstören wollte. Doch indem sie nun ihre Vergangenheit betrachtete, der Täuschungen entledigt und im hellen Tageslicht enthüllt, konnte sie nicht begreifen, wie sie sich so hatte in die Irre führen lassen können. Nichts von dem, was sie getan hatte, diente ihren vermeintlichen Zielen. Nichts davon war gerechtfertigt. Das alles war nur ein Zerrbild der Wirklichkeit.
Die Mauer der Selbsttäuschung, hinter der sie sich verschanzt hatte, wurde von der Flut der Bilder fortgespült, und zum ersten Mal sah sie den Menschen, der sie war. Widerwärtig. Sie war die abscheulichste Person, die sie sich vorstellen konnte, ein Wesen, das seine Menschlichkeit leichtsinnig geopfert hatte, weil es glaubte, sie sei wertlos. Und um dieses Ungeheuer zu werden, hatte sie alles aufgegeben, was sie als kleines Mädchen einst gewesen war.
Schlimmer noch traf sie die Erkenntnis dessen, was sie Bek angetan hatte. Zum einen hatte sie ihn im Stich gelassen, weil sie vermutet hatte, er liege tot in der Asche ihres Elternhauses. Zum anderen war sie erst kürzlich nicht imstande gewesen herauszufinden, ob er tatsächlich derjenige war, der zu sein er behauptete. Sie hatte stattdessen versucht, ihn zu töten. Sie hatte ihn gejagt und beinahe umgebracht. Sie hatte ihn zu ihrem Gefangenen gemacht, ihn mit sich zur Schwarzen Moclips genommen und Cree Bega übergeben.
Sie hatte ihn im Stich gelassen.
Zum zweiten Mal.
In der Stille der beruhigenden Magie des Schwertes von Shannara verblassten die Bilder für einen Moment, und sie war allein mit ihrer Wahrheit, die so scharf war wie eine Messerklinge. Walker war noch da, irgendwo in der Nähe, seine bleiche Präsenz beobachtete sie, wie sie mit sich selbst ins Reine kam. Sie spürte ihn wie einen Mantel, den sie nicht ablegen konnte. So kämpfte sie, um sich von dem Gewirr aus Täuschungen und Treulosigkeit und Verbrechen zu befreien, das sie wie tausend Spinnennetze gefangen hielt. So kämpfte sie gegen die erdrückende Dunkelheit ihres Lebens an. Beides scheiterte. Sie saß in der Falle wie früher ihre Opfer.
Die Bilder setzten wieder ein, aber sie konnte es nicht länger ertragen, sie anzuschauen. Sie taumelte durch das Kaleidoskop ihrer schauderhaften Taten und konnte sich nicht vorstellen, dass ihr jemals Vergebung gewährt werden könnte. Hatte sie überhaupt das Recht, darum zu bitten? Man hatte sie jeglicher Hoffnung auf Gnade beraubt. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder und schrie in einer Mischung aus Selbsthass und Verzweiflung auf. Der Laut und die Wut, die darin mitschwang, riefen ihre eigene Magie hervor, dunkel und flink und sicher. Sie kam ihr rasch zu Hilfe, kollidierte mit der Magie des Schwertes und loderte feurig flammend in ihr auf. Sie spürte, wie sie in einem Wirbel von Bildern und Gefühlen explodierte. Dann drehte sich plötzlich alles in eine riesige, tiefe Leere hinein, und sie wurde in Wolken endlos dahintreibender Schatten fortgerissen.
Bek Ohmsford erstarrte bei dem Laut. »Hast du das gehört?« fragte er Truls Rohk.
Die Frage war überflüssig. Niemand hätte es überhören können. Inzwischen befanden sie sich tief unter der Erde in den Katakomben von Castledown auf der Suche nach Walker. Sie waren durch die Ruinen des Labyrinths gekommen, wo die zuvor verborgenen Türen nun einladend lockten. Dieses unterirdische Reich wurde nicht mehr von Feuerstrahlen und Kriechern bewacht.
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